So liefen die Inzeller Eisfestspiele
Martin Haarahiltunen lehnt unsicher an seiner Werkzeugkiste. „Ich spüre heute zum ersten Mal wieder eine Nervosität in mir; dieses Gefühl hatte ich vor den anderen Rennen dieses Winters noch nie“, gesteht der Titelverteidiger vorm Auftakt-Grand Prix der Eisspeedway-WM in Inzell. „Vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen.“
Denn Haarahiltunen steckt in einem Motivationsloch, sagt über sich selbst: „Ich habe nicht das Gefühl, mit voller Leidenschaft dabei zu sein – sondern eher, dass ich alles gewonnen habe, was ich gewinnen wollte, und mir jetzt selbst nichts mehr beweisen muss.“ Dieser fehlende innere Antrieb habe ihn in den schwedischen Vorbereitungsrennen regelmäßig gegen seinen Jugendfreund Niclas Svensson verlieren lassen. „Es fehlte einfach das letzte Quäntchen Willenskraft und damit auch Aggressivität.“
Man merkt dem kleinen Schweden an, dass ihn die Ausgangslage selbst wurmt – dass er aber auch nicht so recht weiß, wie er aus der Delle wieder rausfinden kann. „Vielleicht ändert sich das ja, wenn ich in der WM wieder vorn dabei ist.“
Nach Inzell ist er das. Haarahiltunen wird zwar auch in Grand Prix 1 in den Vorläufen von Niclas Svensson geschlagen, doch bleibt das seine einzige Niederlage in den ersten 20 Heats. Im Finale verschläft er dann den Start und läuft daher nur auf Rang 4. Das, so sagt er im großen Video-Podcast der Zeitschrift PITWALK und des neuen Schwesterportals bahndienst.com, habe ihn derart gewurmt, dass er am Sonntag mit dem Messer zwischen den Zähnen gefahren sei. Das Resultat: ein Maximumsieg und die WM-Tabellenführung.
Die Leistung von Svensson fiel noch schwankender aus. Der Sohn des ehemaligen Mannschaftsweltmeisters Stefan Svensson änderte zu jedem Lauf die Abstimmung seines Fahrwerks – und fand nach eigenem Bekunden nie das richtige Mittelmaß zwischen Aggressivität und Zurückhaltung. Svensson erklärt im Videopodcast von bahndienst.com genau, woran es bei ihm gelegen hat, dass er seine Form aus den nordischen Rennen nicht konservieren konnte.
Das gelang stattdessen Max Koivula. Der hatte im Winter zwei große Rennen, darunter das Comeback des Paarspektakels auf der überfrorenen Speedwaybahn im schwedischen Avesta, gewonnen – und holte sich nach einem Blitzstart im Finale den Samstags-Grand Prix-Sieg. Sonntags verpokerte er sich bei der Reifenstrategie. Einen Teil der Geschichte erzählt er im Videopodcast – die wahre Story dahinter allerdings erfahrt Ihr in einer anderen News innerhalb des Eisspeedway-Themenspecials.
Landsmann Heikki Huusko, noch mit einer speziellen Stütze rund um den angebrochenen rechten Knöchel, bestach mit einigen spektakulären Ritten auf der Außenbahn; wenn er beim Rausbeschleunigen auf brüchige Eispassagen geriet, glichen seine Fahrten aber stets einem Ritt auf der Kanonenkugel. Mit Tagesrang 3 am Samstag und einer Finalteilnahme, die in einem Sturz mündete, am Sonntag holte sich der Finne vor Koivula Platz 2 in der Tabelle.
Luca Bauer verpasste am Samstag den Einzug in den Endlauf: Er lag nach den ersten vier Vorläufenblöcken punktgleich mit Huusko auf Rang 4, dem letzten Finalqualifikantenrang. Im allerletzten Vorlauf verfolgte Bauer den besser gestarteten Finnen. Dabei verhakte sich sein Vorderrad in einer Eisrille, der Bayer hoppelte auf seiner Heimbahn ins Innenfeld und schied aus. Im Video-Podcast beichtet er, er hätte den Sturz in Kauf genommen – wohl wissen, dass er Tagesrang 5 auch nach einem Nuller nicht mehr würde einbüßen können.
Auffällig: die extrem hohe Leistungsdichte an der Spitze des Feldes. „Seit die Russen nicht mehr da sind, liegt alles viel enger beisammen“, notiert Christian Platzer, der Teamchef von Inn-Isar-Racing. „Wenn du Glück hast, gewinnst du – und wenn du Pech hast, bist du Achter.“
Sein Schützling Max Niedermaier hatte Letzteres. Der Vorjahressieger von Inzell stürzte gleich drei Mal. Beim ersten Crash schob ihn Luca Bauer von innen in die Ballen, Schiri Stefan Andersson ließ alle vier Fahrer zum Restart wieder zu. Niedermaier gewann den Rerun, fiel dann auf Platz 2 fahrend erneut und baute auch im letzten Heat einen Unfall. „Ich hatte Probleme am Kurveneingang, weil dort immer das Hinterrad anfing zu springen. Das habe ich dann nie wieder unter Kontrolle gebracht.“
Nach dem vorletzten Einschlag stand sogar kurz der Verdacht im Raum, der Oberbayer hätte sich ein Schulterblatt angebrochen. Doch er konnte mit einem riesigen blauen Fleck am Sonntag wieder fahren. „Aber da hat mir zunächst das Vertrauen ins Motorrad gefehlt. Erst vor dem letzten Rennen habe ich gemerkt, dass doch alles passt.“ Prompt gewann Niedermaier diesen finalen Vorlauf – und reihte sich punktgleich mit Bauer und Jasper Iwema auf Rang 3 ein. Nur weil ihm im Vergleich zu Bauer und dem Niederländer ein Laufsieg fehlte, prallte Niedermaier an der Qualihürde fürs Finale ab.
Die nahm dagegen Bauer. Dabei musste er im Vorlauf drei Niederlagen in Kauf nehmen. Eine davon, obwohl Sieger Huusko auf der Außenbahn kratzend mit einer Fußraste einen der Sicherheitsbegrenzungsballen touchiert und ein paar Zentimeter auf die Bahn gezogen hatte. Das zieht normaler Weise eine Disqualifikation nach sich, doch der Schiri ließ den Heat laufen und das Ergebnis stehen.
Im Finale zog Bauer gegen Haarahiltunen den Kürzeren – und gegen Jasper Iwema, die große Überraschung des Sonntags. Der niederländische Reality TV-Star gewann Lauf 1, nachdem es dort zu einem spektakulären Sturz gekommen war: Jimmy Olsén war am Kurvenausgang abgeworfen worden, Franz Zorn knallte volley in die austrudelnde Maschine des Schwedens. Dabei verschlimmerte sich Zorns Zustand entscheidend: Der Österreicher hatte bereits am Freitag im Training eine Rippenprellung erlitten, nachdem ihm in der Kurve ein Reifen von Felge gelaufen und die Maschine ihn daraufhin im hohen Bogen fortgeschmissen hat. Bei dem Treffer am Sonntag erwischte es dieselbe Rippe gleich noch Mal. Zorn vermutete sofort einen Bruch: „Wenn’ knackt, ist’s hi’.“ Einen Start beim WM-Finale in Heerenveen schloss er aus: „Das muss operiert werden.“
Iwema siegte im ersten und auch im zweiten Lauf, wo Koivula stürzte, und sicherte mit zwei zweiten Plätzen die Finalteilnahme ab – nachdem er sonnabends überhaupt keine Rolle spielte und nicht Mal halb so viele schrieb wie tags drauf. Im Video-Podcast schob Iwema das auf nicht näher quantifizierte Motorprobleme am Samstagabend.
Was wirklich passiert ist, folgt in wenigen Tagen in einer Extrameldung innerhalb des Themenspecial zur Eisspeedway-WM 2025.
Haarahiltunen geht nach seinem Sonntagssieg als Tabellenführer zum WM-Finale in Heerenveen Anfang April. Da müsste doch eigentlich die Motivation wieder passen? „Weiß auch nicht“, grummelt der Titelverteidiger, „ich glaube eher, der Sieg lag daran, dass ich vor lauter Wut auf mich selber so aggressiv gefahren bin.“