Bootjefahrer
- Norbert Ockenga
- vor 17 Stunden
- 3 Min. Lesezeit
Drei deutsche Gespanne kämpfen am Samstagabend um den Einzug ins EM-Finale in der wohl außergewöhnlichsten Bahnsportsparte überhaupt.
Selbst die Titelverteidiger sind nicht gesetzt. Markus Venus/Markus Eibl haben im Vorjahr die Seitenwagen-Europameisterschaft gewonnen – und müssen am Sonnabend ab 21 Uhr im französischen St. Macaire dennoch die Mühlen der Qualifikation überstehen.
Venus/Eibel gehen als Favoriten auf die Grasbahn hinter Bordeaux. Sie haben den Saisonauftakt in Herxheim am Vatertag mit Maximum gewonnen, allerdings neben dem Pfälzer Klassiker nur noch ein Rennen auf der Speedwaybahn in Pocking bestritten. Ihr Heimrennen in Pfarrkirchen war wegen Regens abgesagt worden. „Ich bin in diesem Jahr noch gar kein Grasbahnrennen gefahren“, bremst Venus denn auch. „Andere Gespanne haben die Möglichkeit genutzt, bei offenen Rennen in Frankreich zu fahren.“
Oder in Lüdinghausen. Auf dem Westfalenring gewann das dänische Duo Mike Frederiksen/Steven Grandt das offene Rennen, die beiden stehen auch in St. Macaire im Feld. „Eine Grasbahn ist in der Regel griffiger und hat mehr Löcher in der Bahn“, vergleicht Venus. „Ich bin 2022 zum ersten Mal in St. Macaire gefahren. Das ist eine 500-Metergrasbahn, typisch für Frankreich – sehr glatt. Mir gefallen kurze Bahnen generell gut.“

Anno 2022 gewann Venus nicht nur das Rennen in der Weinregion, sondern wurde im selben Jahr in Eenrum auch erstmals Europameister. Auch in diesem Jahr gelten Venus/Eibel als Favoriten. „Die ersten 6 kommen ins EM-Finale. Das muss das oberste Ziel sein – aber das müsste eigentlich bei normalem Rennverlauf auch zu schaffen sein.“
Neben den Titelverteidigern sind Raphael San Millan/Benedikt Zapf und Immanuel Schramm/Melanie Meier-Zengin für Deutschland am Start, dazu drei französischen Besatzungen, die in Lüdinghausen siegreichen Dänen und die Engländer Paul Whitelam/Richard Webb.
Wobei in England die hiesigen Erstligagespanne eher klein wirken: Auf der Insel gibt es Grasbahnrennen mit 1.000-Kubikgeschossen, die entgegen der in Europa üblichen Rennrichtung rasen. Weil sie als Eigenentwicklung in England genau wie die dortigen Straßenautos den Lenker auf der falschen Seite haben.
Der Beifahrer kann das ganze Gespann nur über seine Gewichtsverlagerung lenken. – Markus Venus
Die Gespanne für die EM sind mit Langbahnmotoren ausgerüstet. „Aber wir dürfen 38 Millimeter große Vergaser fahren – statt 34 wie in den Soloklassen“, vergleicht Venus. „Damit kompensiert man das höhere Gewicht aus Fahrer und Beifahrer. Vorn fahren wir einen Mefo-Motocrossreifen, hinten ein übliches Speedwayrad von Anlas oder Mitas – und am Seitenwagen einen 16 Zoll großen Reifen aus dem Juniorenspeedway.“ Der Aufwand in der Klasse, die in Deutschland stets als Beiprogramm bei Klassikern wie Herxheim oder dem Goldenen Römer in Altrip stattfindet, liegt dabei nicht unter jenem für die Solisten: „Ich mache jede Saison ein ganz neues Motorrad.“
Das Zusammenspiel von Fahrer und Beifahrer lässt die Gespannrennen leicht skurril wirken. „Turnen“ – so nennen die Beifahrer ihr artistisches Rumgekraxel im Boot, mit dem sie die Gewichtsverlagerung der gesamten Konstruktion maßgeblich bestimmen – und damit auch die Fahrdynamik definieren. „In den Kurven kann der Beifahrer über seine Gewichtsverlagerung das Motorrad lenken“, schildert Venus. „Wir versuchen immer, den eigentlichen Lenker so wenig einzuschlagen wie’s irgendwie geht und dem Beifahrer die Lenkarbeit zu überlassen. Denn je weniger das Vorderrad quer fährt, desto weniger Schwung baut man über die Front ab.“ Doch nicht das spektakuläre Raushängen aus dem Beiboot in den Kurven ist relevant: „Seine Sitzposition ist schon beim Start sehr wichtig, damit man da möglichst viel Grip am Hinterrad hat. Und auch an den Kurvenausgängen muss er über seine Position den richtigen Druck auf den Hinterreifen geben, um so für bestmögliche Traktion beim Rausbeschleunigen zu sorgen.“

Deswegen ist Eibl – wie jeder Co. – ständig in Bewegung, mit zum Teil halsbrecherisch aussehenden Aktionen hangelt er sich kreuz und quer durchs ganze Beiboot.
Venus ist ein ausgemachter Gespannexperte. Der Bayer ist auch auf der Rundstrecke im Seitenwagensport aktiv, in der WM ebenso wie in der IDM. „Beide Disziplinen haben was – aber man kann sie überhaupt nicht vergleichen“, lächelt er. „Auf der Bahn muss man vier Runden lang sein absolutes Maximum, die absolute Höchstleistung abrufen. Auf der Straße hat man 22 bis 24 Runden Zeit. Dabei spielt vor allem das Reifenmanagement eine viel größere Rolle: Wenn du den Reifen zu viel abverlangst, sind sie ab Runde 12 bis 15 hin.“
Dass er auch dafür ein Gespür hat, zeigt Platz 9 in der WM-Tabelle. Und das, obwohl Venus erst seit 2024 auf der Rundstrecke aktiv ist. Seit jenem Jahr also, in dem er in Uithuizen nach einer überstandenen Verletzungspause zum zweiten Mal Seitenwageneuropameister im Bahnsport wurde.
So macht der 42-jährige Feuerschutztechniker aus Kelchham sich denn auf, zu den Legenden der deutschen Gespannelite im Bahnsport aufzuschließen: zu Josef Onderka etwa – oder dessen langjährigem Rivalen, dem vollbärtigen Evergreen Karl Keil.
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