Das große Grollen
- Norbert Ockenga
- 10. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Zach Wajtknecht zahnt immer noch an seiner Disqualifikation vom Finale des Langbahn-Grands Prix in Scheeßel.
In der Box von Martin Smolinski hat sich eine Menschentraube gebildet. Smolinski, der deutsche Langbahnteammanager Jörg Tebbe und sein Vorgänger Josef Hukelmann beugen sich über das Smartfon von „Jupp“. Wieder und wieder schauen sie sich die Wiederholung des happigen Sturzes von Smolinski im Finale von Scheeßel an. „Wajtknecht hat’s immer noch nicht verstanden“, weiß Hukelmann. „Aber wenn er das hier sieht, dann muss er es einsehen.“
Der Emsländer irrt in Sachen Bahnsport selten. Doch dieses Mal liegt er weit daneben. In der Ausgabe der englischen Fachzeitschrift „Speedway Star“ aus der Woche nach dem niedersächsischen WM-Lauf macht Wajtknecht unmittelbar klar, für was er von der Entscheidung des Schiedsrichters Guiseppe Grandi hält: ein Fiasko.
Wajtknecht ist der Ansicht, nicht er, sondern Smolinski hätte nach dem Sturz während der Startrunde eingangs der Gegengeraden disqualifiziert gehört. „Ich war regelrecht erschrocken“, sagt der 27-Jährige aus Bristol über die Entscheidung. „Wenn man von hinten getroffen wird, dann ist man als Vordermann in aller Regel nicht derjenige, der ausgeschlossen wird. Wenn Smolinski nicht nach dem Sturz auf der Bahn zu liegen gekommen wäre, ob der Schiedsrichter dann wohl abgebrochen hätte? Bestimmt nicht. Wenn ich beim Zurücklaufen ins Fahrerlager gemerkt hätte, dass alle Anderen mit der Entscheidung einverstanden sind, hätte ich sie auch akzeptiert. Aber als wir ins Fahrerlager zurückkehrten, standen da Leute von den unterschiedlichsten Förderationen in der Box; alle schwiegen vor Schreck betreten darüber, dass ich bestraft worden bin.“
Wird man von hinten gerammt, dann wird man in der Regel doch nicht dafür disqualifiziert. – Zach Wajtknecht
Wie also ist der Unfall, bei dem Smolinski sich seine künstliche Hüfte übel angeschlagen hat, in den Augen des Engländers passiert? „Mir war von Anfang an klar: Wenn ich den Start gegen Lukas Fienhage nicht gewinne, dann muss ich zurück auf die innere Linie kommen, um dem Strahl auszuweichen. In Scheeßel bilden sich leicht Rillen raus; wenn man dann eine Maschine plötzlich nach vorn schießen sieht, liegt das nicht am Fahrer – sondern daran, dass man zuerst eine glatte Stelle und dann ganz plötzlich eine Rille erwischt hat“, holt der ehemalige WM-Spitzenreiter aus. „Beim Rausfahren aus der Kurve muss man sich innen halten. Denn der Fahrer, der als erster aus der Kehre rausbeschleunigt, lässt sich dabei immer bis ganz nach außen an die Bande raustragen – und verpasst dabei allen Anderen einen fetten Strahl.“
Im Bemühen, das zu vermeiden und innen reinzukommen, hätte er etwas überzogen und sich kurz in den Belag eingehakt, räumt er ein. „Der Bahndienst hat die Innenbahn gewässert, aber danach nicht komprimiert. Wenn man auf einer Speedwaybahn, die glatter ist, zu quer kommt, dann ist das meist ein Fahrfehler. Auf einer Langbahn versucht man aber gar nicht erst großartig, in einen Drift zu kommen. Man probiert vielmehr, seinen Schwung mitzunehmen und das Tempo hochzuhalten. Doch wenn die Bahn ausgefahren und glatt gleichzeitig ist, kann so etwas schon mal passieren. Aber mit Absicht macht man das am Kurvenausgang nicht mehr.“
Smolinski sei hinter ihm, vermutet Wajtknecht, auf eine griffige Stelle geraten, hätte dadurch Fahrt aufgenommen und versucht, nach außen zu kommen. „Dabei hat er sich verschätzt und mein Hinterrad berührt.“
Im Speedway ist eine solche Fahrweise, sich knapp an den Hinterrädern der Vorderleute zu orientieren, in Mode gekommen und zur Notwendigkeit geworden, seit die Tuner die Motoren immer kurzhubiger und damit spitzer zu fahren machen. „Chasing the Backwheel“, heißt das im englischen Fachjargon – dem Hinterrad hinterherjagen. „Doch auf der Langbahn kann man es sich eigentlich nicht erlauben, Hinterräder zu jagen“, bremst Wajtknecht. „Denn das Motorrad hat größere Räder und eine Aufhängung im Heck; wenn man damit eine Rille erwischt, reagiert es extremer als eine Speedwaymaschine.“

Smolinski erörtert im großen Video von bahndienst.com aus Scheeßel, wie er den Unfall sieht. Der Bayer sagt, Wajtknecht hätte vor ihm die Spur gewechselt und sei nach links gezogen. Das sei wegen der irren Geschwindigkeiten auf der Langbahn ein Unding, das zurecht unter Strafe gestellt werde. Auch Hukelmann stößt bei seiner Adhocanalyse in der Box von „Smoli“ ins selbe Horn: „Das ist eine Art der Gefährdung; da muss auch Wajtknecht lernen, dass das so nicht geht.“
Die genaue Analyse von Martin Smolinski seht Ihr in diesem Video:
Wajtknecht zürnt derweil nicht nur über den Ausschluss, sondern auch schon über die Vorbereitung der Bahn vorm Finale. Die hätte ihn nämlich erst in Teufels Küche gebracht: „Man hat die Bahn vorm Finale gewässert und gewalzt. Aber ausgerechnet von meinem blauen Startplatz aus konnte sich sehen, dass da noch durchgängig Wasser oben auf der Piste stand, bis in die erste Kurve hinein. Vor allen anderen Startplätzen war dagegen gar nichts. Man sollte doch meinen, das auch innen Wasser steht, wo die eigentliche Ideallinie nicht komprimiert worden ist. Aber da war alles trocken, während auf meiner Beschleunigungsspur noch richtig Wasser stand.“
Mit Gesten zum Schiedsrichter hätte er eine Verzögerung von zirka fünf Minuten erwirken wollen, um das Wasser einsickern zu lassen. Doch der hätte nur mit den Achseln gezuckt. Und zum Renndirektor Glen Philips zurückzufahren hätte er sich nicht getraut, weil die 90-Sekundenfrist ihm dafür zu knapp erschienen sei.
So verlor Wajtknecht kampflos die Tabellenführung an Lukas Fienhage. „Dadurch habe ich beim Finale aber auch nicht so viel Druck. Und ‚Bomber‘ hat mir mit seinem Sieg noch den Gefallen getan, mich nicht zu weit hinter Fienhage zurückfallen zu lassen. In Roden habe ich schon gewonnen – aber auch Lukas auch schon einige Male. Das wird also ein Toprennen. Möglicherweise steht sogar ein Stechen mit drei Mann um den WM-Titel zu erwarten.“


Alles Gute für Zach in der WM! 👍