Flucht nach vorn
- Norbert Ockenga
- vor 15 Stunden
- 4 Min. Lesezeit
Dan Bewley fährt 2026 erstmals in der ersten dänischen Liga. Was steckt wirklich hinter dem Gang des Rotschopfs nach Outrup?
Beinahe wäre all’ das schon viel früher passiert. „Nach dem U21-Rennen 2019 habe ich im KLS-Shop schon einen Vertrag für das damals kommende Jahr unterschrieben“, gesteht Dan Bewley. „Doch wegen Corona konnte ich dann nie dort fahren.“
Jetzt ist das Abkommen, das seinerzeit im eindrucksvollen Speedwaysupermarkt KLS von Kristian Lund in Outrup eingetütet wurde, doch noch zum Tragen gekommen: Bewley wird 2026 in der dänischen ersten Liga für Outrup an den Start gehen – jenen Verein, für den auch Norick Blödorn schon in der Superliga gefahren ist, „Region Varde“ heißt er offiziell.
Dass Bewley im Herbst einen Vertrag in Dänemark unterzeichnet hat, ist Teil eines Aderlass’ des britischen Speedway. Emil Saijfutdinow hat Ipswich zugunsten von Esbjerg verlassen. Dort, in der Heimatstadt des ehemaligen Weltmeisters Jan O. Pedersen, steht auch des Russen Ipswicher Teamkollege Jason Doyle unter Vertrag.
Die Relevanz der Ligen unterhalb von Polens Ekstraliga verschiebt sich gerade schwer in Richtung Dänemark. „Ich höre, dass die Bahnen dort sehr technisch sein sollen“, schwärmt etwa Bewley. „Das dürfte meinem Fahrstil sehr liegen. Und ich kenne Outrup schon von zwei U21-Weltfinals. Die Bahn mag ich, und die Leute im Verein sind alle schwer in Ordnung.“
Und in der Tat: Die dänische Art, Speedway zu fahren, auch bei Wind und Wetter und auf unterschiedlichen, oft tiefen Bahnen hat den Ruf der dänischen Ligaszene rasant reifen lassen. Zuerst haben Jungtalente eingesehen, dass sie in Dänemark mehr und schneller lernen als etwa in Polen oder in Deutschland. Deswegen bleibt zum Beispiel Hannah Grunwald in Fjelsted und Ben Iken in Holsted, beides Vereine in der zweiten Liga.
Die Bahnen in Dänemark dürften meinem Fahrstil sehr liegen. – Dan Bewley
Nun erlebt auch die erste Liga, die SpeedwayLigaen, ihren Boom. Aber der wird nicht nur von innen gefüttert – sondern auch von der Unsicherheit der Ligazukunft in Großbritannien befeuert. Denn für Bewley und Saijfutdinow ist der Gang nach Dänemark auch eine Flucht nach vorn.
Wenn die beiden britischen Ligen zu einer verschmelzen, dann darf jeder Verein nur noch einen Fahrer mit einem Punkteschnitt über 8 Zähler im Aufgebot haben. Und selbst wenn es bei einem System mit zwei Ligen bleibt, werden die Möglichkeiten für die Aufstellung für die Erstligisten 2026 stark eingeschränkt.
Dazu muss man zunächst einen Blick auf die Averagelisten der einzelnen Teams blicken. Betroffen sind vor allem die Speerspitzen der Klubs. Absolut Punktbester ist Max Fricke von Leicester. Die beiden Besten aller Vereine, die 2026 noch eine Erstligamannschaft stellen möchten, lauten
Ipswich
Emil Saijfutdinow 8,74
Jason Doyle 8,61
Summe der ersten beiden Fahrer: 17,35
Leicester
Max Fricke 10,19
Ryan Douglas 8,12
Summe 18,31
Sheffield
Jack Holder 9,52
Josh Pickering 8,28
Summe 17,8
Manchester
Dan Bewley 9,28
Brady Kurtz 9,11
Summe 18,39
King’s Lynn
Chris Harris 7,83
Jan Kvěch 7,71
Summe 15,54
Sollte es zu einer Fusion der beiden britischen Ligen kommen, müssten außer King’s Lynn alle Teams einen ihrer beiden Topfahrer abstoßen. Saijfutdinow hat sich bei Ipswich schon abgemeldet, Bewley noch nicht zu seiner Zukunft bei Belle Vue geäußert.
Nach wie vor dürfen alle Fahrer, die in der polnischen Ekstraliga unter Vertrag stehen, lediglich noch in zwei weiteren Ligen antreten. Bewley muss sich also zwischen Schweden, wo er für Dackarna Målilla fährt, und seinem englischen Stammverein, den Belle Vue Aces, unterscheiden.

Fürs kommende Jahr wird das Punktelimit der gesamten ersten Sechs eines jeden Teams drastisch beschnitten. Auch dann, wenn es beim alten Gesamtgefüge aus Premiership und Championship bleibt.
Die Gretchenfrage lautet wie immer: Baut man sein Team „top-heavy“, also mit zwei Stars mit hohen Averages, und opfert für diese Philosophie der Aufstellung Fahrer aus dem Unterbau, deren Schnitt dann bei den angezogenen Summen zu hoch wäre? Oder setzt man auf eine möglichst homogene Gesamtaufstellung durch alle Schichten des Teams hindurch?
Manchester hat in Bewley und Brady Kurtz auf den oberen beiden Planstellen die Fahrer, die in Summe den höchsten Average aller Erstligisten aufweisen. Das schränkt die strategischen Möglichkeiten für das Teammanagement ein. Erst recht, wenn die erlaubte Gesamtpunktzahl für die sechs Stammfahrer wie erwartet abgesenkt wird.
Bei Leicester hat der Australier Ryan Douglas eine derart starke Steigerung im Vergleich zur Vorsaison hingelegt, dass er auch das Gefüge sprengen könnte: von 7,3 auf 8,12. Weil Fricke, der das ganze Jahr über keinen einzigen Start für einen anderen britischen Verein als Leicester absolviert hat, als einziger Mann zweistellig liegt, engt das auch die Möglichkeiten für die Lions ein. Auch wenn das dortige Teammanagement schwört, mit beiden Aussies weitermachen zu wollen.
Sheffield – noch immer nicht verkauft, aber mit einer klaren Absichtserklärung zum Weitermachen der bisherigen Besitzer im Gepäck – hat von den Playoffteilnehmern das meiste Potenzial, mit den Top 2 weitermachen zu können. King’s Lynn bräuchte eh’ nichts anzupacken – nicht mal bei einer Verschmelzung zu nur einer Liga.
Wenn die ersten Gerüchte über eine reduzierte Gesamtpunktzahl wirklich stimmen, dann kann Belle Vue mit Kurtz und Bewley nicht mehr planen, ohne die Aces in der Tiefe zu sehr zu schwächen. Das erklärt den überraschenden Wechsel von Bewley nach Dänemark.



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