Grasbahn-Geheimtipp
- Norbert Ockenga
- vor 25 Minuten
- 2 Min. Lesezeit
Unweit von Werlte findet sich eine echte Reliquie des Grasbahnsports – in einer privaten Sammlung.
Die Fahrtzeit beträgt ziemlich genau 48 Minuten. So lange braucht man, um vom Hümmlingring in Werlte in jenes Industriegebiet in Lingen zu gelangen, in dem ein Stück Motorsportgeschichte verwahrt wird.
Man muss wissen, wo das Motorrad steht. Denn noch ist es eine reine Privatsache. Der Lingener Unternehmer Heinrich Liesen kümmert sich in seiner Heimatstadt um Erbe und Andenken des legendären Bernd Rosemeyer – ein Autorennfahrer, der vorm Zweiten Weltkrieg zu Weltruhm gelangt ist und der erste deutsche Formel 1-Weltmeister der Historie gewesen wäre, hätte die Grand Prix-Serie damals schon Formel 1 geheißen.
Rosemeyer ist untrennbar mit dem Mythos Silberpfeil verbunden. Also mit diesen mächtigen kompressorbewährten Überrennwagen, die Mercedes und die Auto Union – das heutige Audi – in einem Wettrüsten in den späten Dreißigern entwickelt haben.
Was kaum jemand weiß: Rosemeyer hat seine Wurzeln im Grasbahnsport. Denn der Sohn eines Autohaus- und Tankstellenbetreibers ist nach einigen Motorradabenteuern auf Lingener Stadt- und Landstraßen mehr durch Zufall in den Sport gestolpert: Im Mai 1931 kommt ein Geschäftsfreund von Vater Wilhelm Rosemeyer, nämlich der Oldenburger Handelsmann Georg Schwarting, nach Lingen. Er will eigentlich nur tanken, trifft dann aber die Gebrüder Bernd und Job Rosemeyer.
Im Gespräch stellt sich raus: Wenig später wird ein Grasbahnrennen im Oldenburger Stadtteil Ohmstede stattfinden. Schwarting möchte eine Zündapp mit 350-Kubikzentimetermotor einsetzen. Doch sein Fahrer ist krank geworden. Mehr als einem Geplänkel heraus gebiert die Idee, Bernd Rosemeyer auf die Zündapp zu setzen. Der bedingt sich aber einen Trainingstag in der Nähe von Lingen aus, sein Bruder überzeugt den Pächter der Lingener Pferderennbahn, und die Testfahrt kann stattfinden.
Rosemeyer gewinnt gleich sein erstes Rennen in Ohmstede, rast danach bei vielen Grasbahnrennen im Emsland und Ostfriesland von Sieg zu Sieg und wird so zum Motorradwerksrennfahrer bei DKW, dort schwatzt er sich später in die Automobilrennsportabteilung der Schwestermarke Auto Union, und der Mythos nimmt seinen Lauf.
Die Grasbahnwurzeln von Rosemeyer sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Zündapp, auf welcher der Blondschopf aus Lingen seinen ersten Heat in der heutigen Universitätsstadt im Nordwesten gewann, stand lange Zeit bei einem Mercedes-Autohaus in Oldenburg: Rosier. Denn dessen Inhaber war auch im Motorsportclub Oldenburg engagiert. Genau wie auch Günther Büsing, der Bruder des langjährigen Eurosport-Le Mans-Fernsehkommentators Gustav Büsing. Als Rosier sein Autohaus im Stadtteil Wechloy verkauft, geht die Maschine kurz ins bewegliche Inventar von Rosier Classic über.
Von dort löst Heinrich Liesen die geschichtsträchtige Grasbahn-Zündapp aus. Denn er möchte eigentlich ein Bernd-Rosemeyer-Museum in der gemeinsamen Heimatstadt Lingen einrichten, hat sogar schon ein Gebäude dafür angemietet. Daraus ist inzwischen die Idee gereift, das Andenken in einem rein digitalen Atrium zu pflegen – sodass die Rosemeyer'sche Grasbahnmaschine noch in einem Dornröschenschlaf schlummert.
Liesen hat auch versucht, das Motorrad restaurieren zu lassen. Er ist dafür eigens zu einem Restaurator in die Niederlande gefahren. Doch der hat den Auftrag mit der Begründung abgelehnt, damit würde ein Stück Motorsportgeschichte verwässert werden, da ein Neuaufbau des Bikes dessen Patina opfern würde.
So bleibt das Motorrad zunächst allein in einer Halle in Lingen.
In der Fotogalerie der Bilder von Norbert Ockenga könnt Ihr Euch ein genaues Bild machen, wie man Anfang der Dreißiger in Deutschland Grasbahnrennen gefahren hat. Durchklicken lohnt sich – nicht nur für alle Besucher des Grasbahn-EM-Halbfinals in Werlte am Samstagabend.
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