Skandal um Deckel
- Norbert Ockenga
- vor 7 Stunden
- 2 Min. Lesezeit
Das Grasbahn-EM-Halbfinale der Gespanne in Frankreich nimmt einen gar wunderlichen Verlauf.
Ein deutscher Doppelsieg, alle drei Gespanne qualifiziert für den Endlauf der Grasbahn-Europameisterschaft für Seitenwagen – da kann man doch eigentlich nicht meckern.
Oder doch?
Das Halbfinale wird in einem verwobenen Rennen mit dem Semifinale der Solisten auf der Grasbahn in Saint-Macaire in Südwestfrankreich ausgetragen. Die Veranstaltung versinkt im Chaos: Weil die Startmaschine schon im Training ausfällt, muss per Ampel gestartet werden. Und der Bahndienst hat die Piste erst zu trocken und staubig werden lassen, dann über-, dabei aber auch nur teilgewässert, sodass die Sichtbedingungen heikel und die Rennen phasenweise gefährlich waren.
Und nicht nur das: Das Seitenwagenrennen endete in einem handfesten Skandal – samt Protestgezänk.
Markus Venus/Markus Eibl werden von Anfang an ihrer Favoritenrolle gerecht. Die Titelverteidiger aus Bayern lassen nie einen Zweifel daran aufkommen, dass sie mit Maximum gewinnen und sicher ins EM-Finale einziehen werden.

Hinter ihnen geht's turbulent zu: Die Lizenz des Dänen Mike Fredriksen ist zunächst nicht aufzufinden. Trotzdem setzt die Rennleitung ihn ins Finale – und als das zum ersten Mal gestartet werden soll, taucht auch plötzlich sein Rennführerschein auf.
Im Finale kommen weder Fredrikssen noch Jérôme Lespinasse heile über die Runden. Deswegen muss der Endlauf zwei Mal abgebrochen werden. Nach der zweiten Roten Fahne lässt Remi Valladon am Fahrerlagerausgang die Kupplung seines Gespanns wechseln. Das aber ist in den 90 Sekunden nicht zur Gänze zu schaffen. Die Mechaniker schicken den Franzosen wieder raus, ohne dass dessen Kupplungsdeckel montiert wäre. Der Riementrieb rotiert also an der freien Luft.
Beim dritten Start gewinnen Venus/Eibl auch ihren letzten Lauf vor den Landsleuten Raphael San Millan/Benedikt Zapf. Das unabgedeckte Fuhrwerk der Franzosen verdrängt Immanuel Schramm/Melanie Meier-Zengin auf den vierten Rang.
Auf Anraten des regelkundigen Teambetreuers Josef Hukelmann legen die Viertplatzierten Protest ein. Schließlich hat jede Maschine im Vollbesitz aller Bauteile zu sein, wenn sie an den Start geht – und auch, wenn sie ins Ziel kommt. Doch die Sportkommissare schmettern den Protest ab: Der Kupplungsdeckel sei kein leistungsrelevantes Teil – anders als etwa ein Auspuff. Wenn der abfalle, habe das eine Leistungssteigerung zur Folge und sei entsprechend auf jeden Fall zu ahnden, bei einer Abdeckung sei das egal.
Immanuel Schramm/Melanie Meier-Zengin argumentierten zusammen mit Jupp Hukelmann, die Abdeckung sei sicherheitsrelevant und müsse deswegen auf jeden Fall am Bike sein. Und in der Tat ist die Geschichte des Bahnsports voll von schweren Verletzungen, die entstanden sind, wenn sich ein Fuß oder ein Unterschenkel an einem offen drehenden Ritzel oder einer Kette verfangen. Zuletzt hatte der Australier Shane Parker in den Neunzigern, als er für den MC Norden Liga und für den westfälischen Tuner Andreas Walek Langbahn fuhr, in den Neunzigern in der australischen Wintersaison üble Verletzungen zugezogen, als ein Kettenritzel sich bis in seinen Mittelfuß hinein fräste.
Zwar werden die Gespanne – genau wie Langbahnsolomaschinen – nicht mehr über Primärketten, sondern über einen Riemen angetrieben. Doch auch der Kunststoffriemen flitzt mit hohem Tempo über Lagerrollen; wer sich in ihm verfängt, kommt auch nicht ohne krasse Verletzungen davon.
Die Sportkommissare in Südfrankreich ließen sich aber auch nicht von Sicherheitsargumenten leiten – sondern sprachen ihren Landsleuten in der langen Nacht von Bordeaux Endrang 3 zu.
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