Wie konnte das geschehen?
- Norbert Ockenga
- 2. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Was fördert die Analyse des deutschen Teams über das Ausscheiden vom Dienstag zutage? Und was bedeutet das für den Freitag?
Die Aufarbeitung dauert noch an. „Wir wissen jetzt, was zu Anfang funktioniert und was am Ende hinhaut. Aber was in der Mitte passt, das ist uns immer noch nicht ganz klar“, gibt Norick Blödorn zu.
Der 21-Jährige sitzt am Donnerstagabend mit Mario Häusl und Hannah Grunwald zusammen, mit denen er am Freitag zusammen das SoN2, also die Paar-WM für Junioren, bestreiten wird. Mit am Tisch: auch die beiden deutschen Teammanager Mathias Bartz und Sascha Dörner. Bei der Vorbereitung auf den Freitag spielt auch die Retrospektive auf den Dienstag eine Rolle.
Auf das Ausscheiden der Seniorenmannschaft in der ersten Runde im entscheidenden Heat gegen Lettland.
Das Bild von der Nationalmannschaft hat sich binnen kürzester Zeit um 180 Grad gewendet. Bei der letzten Paar-WM in Manchester schrammten Kai Huckenbeck und Norick Blödorn um einen Punkt an einer Medaille vorbei. Jetzt wären sie beinahe um dieselbe Marge gar nicht Mal ins Stechen gegen die Letten gekommen – sie beendeten die Vorläufe punktgleich mit den Norwegern, die de facto ein Einmannteam waren.
Es war von Anfang an realistisch, dass die Deutschen sich nicht für die ersten beiden Plätze qualifizieren würden, sondern ins Stechen um den letzten Finalplatz müssten. England und Schweden schienen vorab außer Reichweite. Also musste man darauf gefasst sein, auch bei der Strategie, es in Lauf 22 wie in einem Tagesfinale richten zu müssen.
Ich war mit dem Setup immer einen Lauf hinterher. – Norick Blödorn
Allerdings nahm der Dienstagabend einen unerwarteten Verlauf: Die Engländer starteten mit einer völlig falschen Abstimmung. „Die Bahn war im Training ganz anders, viel trockener“, ließ Robert Lambert wissen. „Deswegen mussten wir unsere Motorräder ganz und gar umbauen.“
Blödorn staunte, obwohl der Wasserwagen nach dem Training stundenlang seine Runden gedreht hat, „ist erstaunlich wenig Wasser in der Bahn geblieben. Ich kenne polnische Bahnen eigentlich so, dass sie im Laufe des Rennens, wenn sie gewässert werden, tiefer und griffiger werden. Das war am Mittwoch überhaupt nicht so.“

Prompt vergaloppierte sich Blödorn mit der Abstimmung, was dafür sorgte, dass er nach einem starken Auftakt den Anschluss verlor. So fielen die Siege über Norwegen und Slowenien deutlich knapper aus als nötig, und es kam zur Zitterpartie um den Einzug in den entscheidenden Lauf 22. „Ich war“, gesteht Blödorn, „mit dem Setup immer einen Lauf hinterher. Das haben wir erst zum Ende hin wieder eingeholt.“
Da hätte eine taktisch feine Klinge geschwungen werden können. Aufgrund der. Punktevergabe, die Siege weniger belohnt als homogene Paarleistungen auf den Rängen 2 und 3, hätten Huckenbeck/Blödorn in Lauf 22 eine defensive Taktik anwenden können: den starken Andrej Lebedews vorn ziehen lassen – und sich zu zweit auf den grippekranken Daniils Kolodinskis konzentrieren, den in der ersten Kurve aussteigen lassen und dann im Paarflug hinter sich halten.

Das deutsche Teammanagement entschied sich für die andere Variante: „Alles oder nichts“, sei die Maßgabe gewesen, blick Mathias Bartz zurück. Das heißt also: auf Laufsieg fahren? „Ja“, nickt Bartz. „Wir haben ihnen nicht mitgegeben, auf die Plätze 2 und 3 hinzuarbeiten. Obwohl beide natürlich gewusst haben, dass diese beiden Plätze gereicht hätten.“ Und Sascha Dörner ergänzt: „Wir wollten es darauf ankommen lassen, wie die Starts laufen, und das Rennen sich dann entwickeln lassen.“
Huckenbeck aber kam beim Start nicht weg. Blödorn hatte seine Maschine an die Bahnbedingungen wieder anpassen können, fuhr nach dem Start vor Kolodinskis. Aber die zweite Variante des Paarfahrens – den gegnerischen Hintermann einbremsen, um so den eigenen Teamkollegen ranzuholen und vorbeizubugsieren – kam nicht zum Tragen, stattdessen ging der verschnupfte Lette sogar noch an Blödorn vorbei zu jenem 7:2, das die Letten statt der Deutschen ins Finale brachte.
Huckenbeck und Blödorn schafften es den ganzen Abend über nicht, klassisches Paarfahren anzuwenden. „Aber außer den Australiern am Mittwoch“, grenzt Bartz ab, „hat kein Team echtes Paarfahren zelebriert.“
Was an zwei Faktoren lag: Die Bahn, die nur eine schmale schnelle Linie unmittelbar an der Außenkante, direkt vor Bande, bot – auf die traute sich am deutschen Dienstag nur Dan Bewley, als die Briten ihre Abstimmung in den Griff bekommen hatten, Teamkollege Lambert fuhr auch weit defensiver und ohne Paarbildung im luftleeren Raum. Generell klafften bei vielen Länderpaarungen auch so große Abstände zwischen den einzelnen Fahrern, dass sie sich gar nicht zum Paar zusammenfinden konnten.
Auch Blödorn fiel der Mangel an echtem „Best Pairs“ auf: „Die Bahn hat da sicher nicht geholfen, und die Fahrer haben dann ihr Übriges dazu beigetragen.“

Allerdings muss man auch konzedieren: Am deutschen Dienstag haben die Schweden es unter Führung von Freddie Lindgren in den ersten beiden Runden meist geschafft, ein Paar zu bilden – und sich erst wieder in den Konvoi eingeschwenkt, als der vorentscheidende Vorsprung geholt war. Australien und Dänemark machten es mittwochs ganz ähnlich. Und die Letten fanden sich dienstags auch zum Formationsflug zusammen.
Die Deutschen agierten auf der Bahn wie zwei Einzelkämpfer – wirkten aber nicht wie ein Team.
Was auch für die Paare aus Norwegen, Frankreich und Finnland sowie der Ukraine galt, für Argentinien und Slowenien sowieso. Und über weite Teile sogar für die Tschechen, die sich am Mittwoch das letzte Finalticket gegen die Ukrainer sicherten.
Wir haben nicht auf die Plätze 2 und 3 gesetzt, sondern auf Alles oder Nichts. – Mathias Bartz
Blödorn war mit Familie auch am Mittwoch im Stadion, um sich auf den U21-Einsatz am Freitag vorzubereiten. Die Bahn sei ziemlich ähnlich zu derjenigen vom Dienstag gewesen, urteilte er von der Tribüne. Für den Freitag sei er deswegen in Sachen Abstimmung auch noch ratlos.
Die Taktik der deutschen Junioren steht: „Wir fangen mit Norick und Mario an“, avisiert Dörner. „Dann schauen wir, wie sich der Abend entwickelt – und ob wir Hannah auch Mal bringen.“ Blödorn/Häusl sind allerdings als Stammpaar gesetzt. Allerdings muss Blödorn nicht nur seine Abstimmung anpassen, sondern auch seinen Fahrstil: Der war am Dienstag häufig zu quer für die Bahnbeschaffenheit; der schnellere Huckenbeck fuhr meist deutlich gerader und weniger lange im ausgeprägten Drift.
Häusl kennt Thorn vom Ekstraligacamp der polnischen Ligaveranstalter, wo er sich stark präsentierte – das aber auch im Sommer stattfand, bei anderen Witterungs- und Bahnbedingungen.

Vom Bayern mit seiner unbekümmerten Art steht Freitag viel zu erwarten. Zumal er sich auch trotz seiner beiden maladen Handgelenke, die ihm im Sommer Zwangspausen eingebracht haben, fit für den Freitagabend fühlt: „Ich war in der Woche vorher noch bei meinem Nachbarn. Der ist auch mein Physiotherapeut – und er hat mir beide Handgelenke gelockert. Ich merke jetzt nichts mehr von den Verletzungen.“
Grunwald fügt sich in ihre Rolle auf der Ersatzbank. „Ich hoffe, dass Norick und Mario gute Rennen fahren – und ich mir Einiges abschauen kann“, sagt die Damenweltpokalsiegerin aus Parchim. „Für mich ist es wichtig, von solchen internationalen Rennen möglichst viel mitzunehmen und zu lernen.“
Einem Start stünde sie natürlich nicht abgeneigt gegenüber. Die Finnen und Franzosen etwa haben am Mittwoch vorgemacht, wie’s gehen könnte: Als es punktmäßig um nichts mehr ging, sondern ihr jeweiliger Platz in der Tabelle zementiert war, ließen sie Tero Aarnio respektive Mathias Tressarrieu noch ein Mal zum Einsatz kommen.
Wäre das auch Ansatz für die Deutschen, Grunwald Respekt zu zollen? Dörner wiegelt ab: „Das entscheiden wir, wenn wir sehen, wie die Rennen laufen.“
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