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Die große Rochade

Vorm Zweitligafinale in Wittstock am Samstagnachmittag hat ein kurioses Stühlerücken bei den Titelanwärtern eingesetzt.


Die Rückmeldung klingt verheißungsvoll. „Hier bestes Wetter“, meldet Meik Lüders ebenso knapp wie prägnant am Mittag vorm Zweitligarennen in Wittstock, „bestes Rennwetter; Sonnenschein; Bahn sieht top aus. Kann losgehen hier.“


Und wie es losgehen kann: Der Ausweichtermin für das ausgefallenen Rennen in Diedenbergen wartet mit der wohl kuriosesten Besetzung auf, die Speedwaydeutschland dieses Jahr gesehen hat. Inn-Isar-Racing ist Tabellenführer, hat aber am Sonnabend rennfrei – und zwei Leistungsträger der Bayern rollen plötzlich für den lokalen Titelrivalen aus Olching ans Band: Levi Böhme auf der Planstelle der 500R und Richard Geyer auf Position Nummer 2 hinter Teamleader Valentin Grobauer.


So können zwei Fahrer vom Tabellenführer unmittelbar dafür sorgen, dass ihr eigentliches Team noch den Meistertitel verliert – an den derzeit drittplatzierten Lokalrivalen aus dem Münchener Vorort.


Inn-Isar-Racing-Chef Christian Platzer trägt die kuriose Karawane von der Isar an die Amper mit Fassung. „Olching hat bei uns angefragt, weil sie sonst ohne Fahrer dagestanden wären“, rekapituliert Platzer. „Und weil wir die Saison und die ganze Titelentscheidung sportlich zu Ende bringen wollten, haben wir zugestimmt. Deswegen hat unsere Teammanagerin Sylvia Liebmann den beiden die Freigabe für den Start bei Olching erteilt.“


Warum aber ist bei Olching überhaupt die große Fahrerknappheit ausgebrochen? Und warum fährt der Chef, von seinem Scheeßeler Langbahnsturz ja inzwischen genesen, nicht selbst – wie sonst in der Zweiten Liga auch? „Auf Position A war ‚Valle‘ in Diedenbergen für uns aufgestellt, daher fährt er jetzt beim Nachholtermin auch wieder – und nicht ich“, antwortet Martin Smolinski. „Auf der B hätten wie Patrick Hyjek und Mario Häusl gehabt. Aber die sind beide verletzt, also haben wir Richard Geyer geholt. Und auf der 250R haben wir eigentlich Carlos Gennerich. Aber der ist auch verletzt, und André Damian, mit dem wir die Saison begonnen haben, hat den Stahlschuh an den Nagel gehängt. Daher mussten wir auch da umplanen.“


Weil wir die Saison sportlich zu Ende bringen wollen, haben wir zugestimmt. – Christian Platzer

So stieß anstelle von Gennerich dessen sächsisches Pendant als Wunderknabe, Levi Böhme, zu den Bayern.


Aber was hat den Gennerich überhaupt? „Er ist beim Training der Liga Nord in Brokstedt weggerutscht. Da ist er noch drei Läufe unter Schmerzen gefahren, hat dann abgebrochen, weil’s nicht mehr ging“, rapportier Vater Tennis Gennerich. „Am Montag danach stellte sich bei der Untersuchung heraus, dass am Ansatz des Daumengelenks etwas vom Knochen weggebrochen ist. Er hat jetzt für sechs Wochen Gips. Eine Operation haben die Ärzte nicht für notwendig erachtet; es sei besser, wenn der Daumen Ruhe hat. Deswegen können wir dem Team heute nicht helfen – wünschen aber trotzdem viel Erfolg und wissen, dass die Jungs es drauf haben, die acht Punkte zu Cloppenburg aufzuholen.“


Ben Iken bereitet sich im Fahrerlager von Wittstock auf das Zweitligafinale am Samstagnachmittag vor. Foto: Meik Lüders
Ben Iken bereitet sich im Fahrerlager von Wittstock auf das Zweitligafinale am Samstagnachmittag vor. Foto: Meik Lüders

Damit macht Papa Gennerich schon genau die Rechnung auf, die am Samstagnachmittag in Wittstock über allem steht: Wie können die Verfolger Cloppenburg und Olching die Liganovizen von Inn-Isar-Racing noch einholen? Und wie kann Olching noch an den Nordwestdeutschen vorbei auf den ersten Tabellenplatz springen?


Es wirkt auf den ersten Blick so machbar wie die Formel 1-WM-Chance von Max Verstappen. Doch Gennerich ist nicht der einzige aus dem Lager der Bayern, der in Optimismus macht.


Aber auch bei Cloppenburg herrscht Hoffnung auf den Titel – wie Jonny Wynant aus der Box berichtet: „Wir müssen einen Platz hinter Olching landen, und unser Rückstand darf dann nicht mehr als acht Punkte auf Olching betragen“, rechnet Wynant vor. „Dabei müssen wir insgesamt auf 28 Punkte kommen, um bei den Laufpunkten an Inn-Isar-Racing vorbeizukommen. Da ist eine machbare Zahl.“


Wynant selbst ist nur als Helfer für seinen jüngeren Bruder Carl dabei. Fahren kann er wegen seines gebrochenen Schlüsselbeins von Veenoord noch nicht: „Der Arzt hat mir noch ein paar Wochen Ruhe verordnet. Denn beim Bruch sind in der Schulter ein oder zwei kleine Knochenstücke abgesplittert. Einen Verband trage ich schon nicht mehr. Ich bin operiert worden, man hat mir eine Platte eingesetzt, und jetzt muss es verheilen.“


Die Cloppenburg Fighters müssen nicht nur auf Wynant verzichten, sondern auch auf zwei weitere Leistungsträger: Junior Janek Konzack ist auch immer noch verletzt, von seinem DM-Sturz, und Lukas Fienhage in Wittstock nicht am Band. Anstelle des knapp verhinderten Langbahnweltmeisters übernimmt wieder Nicolai Heiselberg aus dem dänischen Outrup die Eins; Thies Schweer aus Zetel ist für die Juniorenposition als direkter Gegner für Böhme gesetzt.


Der Blondschopf aus Friesland wird erst im Training vorm Wittstocker Rennen entscheiden, ob er wie bisher auf seiner Viertellitermaschine antreten wird – oder doch auf jener 500R, die er sich vom verletzten Wynant geliehen hat. Auf der langen, breiten und schnellen Bahn an der Dosse spricht viel für die leistungsstärkere 500R, mit der man besser aus dem Start kommt als mit dem halb so großem Nachwuchsmotorrad.


Schweer hat die Maschine, die Jonny Wynant ihm mit einem Vorjahres-Halblitermotor ausgeliehen hat und die sein Familienteam um Vater Ulli dann mit der Buchse zur Leistungsdrosselung für das „R“ in 500R versehen hat, bislang nur ein paar Mal auf seiner Heimbahn in Moorwinkelsdamm getestet. Das Training in Wittstock wird zum Lackmustest, ob Schweer zum ersten Mal in der großen Klasse an den Start geht.


Die Ausbeute von Schweer und die Vorstellung von Jonnys Bruder Carl Wynant, der auf der Drei direkt gegen die schnelle Olchinger junge Frau Patricia Erhart gesetzt ist, dürften am Nachmittag die ausschlaggebenden Parameter im Kampf um den Zweitligatitel sein.


Lüders ist vor Ort, weil sein Schützling Ben Iken aus Marienhafe bei Cloppenburg Jonny Wynant auf der zweiten Startposition vertritt – gegen Geyer.


 
 
 

1 Kommentar


Gast
vor 8 Stunden

Ein sehr umfassender und informatier Artikel. Dankeschön. Eigentlich hätte nur noch die aktuelle Tabelle gefehlt.

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