Der nötige Crash vorm Neustart?
- Norbert Ockenga
- vor 16 Stunden
- 4 Min. Lesezeit
Haben die Absage der U21-DM in Wolfslake und das Debakel der U24-Team-EM in Ludwigslust eine Wirkung wie ein reinigendes Gewitter?
Mit der Vokabel kann er nicht so recht was anfangen. „Was heißt Fiasko“, fragt Josef Hukelmann bei der Nachbereitung des Ausscheidens der deutschen U24-Mannschaft bei der EM-Qualifikation in Ludwigslust.
Hukelmann ist spontan als Teammanager der jungen Mannschaft eingesprungen, weil die eigentlichen Betreuer der deutschen Mannschaft beide keine Zeit hatten: Sascha Dörner musste wegen eines Großauftrags eines bayerischen Autoherstellers für seine Firma sich selbst um Kunden kümmern, Matze Bartz war Rennleiter – in Ludwigslust.
Also engagierte sich Hukelmann, der Ende letzten Jahres seine höchst erfolgreiche Ägide als Teammanager der deutschen Langbahnnationalmannschaft beendet hatte, doch wieder bei der Teambetreuung – und erlebte das Debakel mit nur sieben Laufpunkten auf dem abgeschlagenen letzten Rang aus Innenansicht mit. „Das Problem ist in Deutschland, dass unsere Fahrer nicht auf höherem Niveau mehr Rennen haben“, analysiert der Emsländer. „Du kannst Fahrer wie einen Marlon Hegener – wenn er nicht mehr kann, dann kann er nicht mehr. Daraus kann man ihm keinen Vorwurf machen. Aber Jonny Wynant und Ben Iken haben für ihre Verhältnisse gekämpft. Doch es fehlte die Koordination mit der Bahn und den wechselnden Bedingungen. Und es fehlt an den Starts.“
Solche Fehlbestände lassen sich auf einen einzigen gemeinsamen Nenner runterbrechen: mangelnde Fahrpraxis. „Es nützt dir nichts, wenn du in Norden einen halben Tag Vollgas um die Bahn fährst. Klar, es trägt dazu bei, ein Gefühl zu entwickeln und die Abstimmung zu verstehen. Aber du musst in ein Trainingslager. Und du musst in ausländischen Ligen fahren.“
Genau das tut aus Kader der für Ludwigslust aufgebotenen Fahrer aber nur die wenigsten. Ben Iken und Mario Häusl stehen in unterschiedlichen Ausprägungen ihrer angepeilten Profikarriere, doch schon bei Jonny Wynant hakt’s. „Jonny Wynant hatte schon mal diesen Weg vor: dass er nach Polen und England wollte“, verrät Hukelmann. „Er hat sich dann aber dazu entschieden, seine Lehre zu machen. Er will seine Sicherheit haben. Die Deutschen sind so eingestellt – und haben eben nicht die Einstellung: ‚Ich lebe davon; diese 20 Jahre investiere ich in den Sport.‘ Du kannst die Leute da nicht hindrängen, wir sind ja nicht im Sozialismus, wo der Staat den Sport unterstützen würde.“
Vielleicht hat das ja alles geholfen, mal aus dem Stillstand rauszukommen. – Josef Hukelmann
Hukelmann hat das beste Gegenbeispiel in seinem direkten Umfeld und beinahe jede Woche bei sich im Wohnzimmer: Er ist Entdecker, früher Förderer und onkelhafter Freund von Kai Huckenbeck, dem derzeit besten deutschen Drifter. „Ich kann das nur ummünzen auf Kai: Er ist in England gewesen, ist jetzt in Polen und Schweden unterwegs. Warum hat er diese ganzen Matches? Weil er überall was lernt: Bahnen lesen, fahren, kämpfen. Deswegen wird er auch immer besser“, verweist Hukelmann. „Wir haben nicht die Fahrer, die ihr Leben nur aufs Rennfahren ausrichten. Das kannst du nicht mit Polen, Engländern und Dänen vergleichen. Deswegen ist es auch wichtig, dass es eine Bundesliga gibt, in der wir unsere deutschen Fahrer mit einbringen. Da können ja gern viele Ausländer mitfahren – aber die Deutschen müssen dort mit eingebunden werden, damit sie die Möglichkeit haben, gegen hochwertige Gegner anzutreten und daran dann zu wachsen.“
Warum aber gibt es an der Spitze nur Huckenbeck, Erik Riss und Norick Blödorn, die ihr Leben voll als Speedwayprofi ausrichten? „Weil die anderen es finanziell nicht wuppen oder weil sie in Arbeit sind; weil sie ihr Leben nicht umstellen möchten“, schwant Hukelmann. „Kai wollte einfach diesen Weg gehen; er war entschlossen. Auch in einer Zeit, als ihn noch nicht so viele Sponsoren ihn unterstützt haben – das ist alles nicht so einfach.“

Ist es ein Zufall, dass die Klatsche der deutschen Junioren kurz nach dem heiß diskutierten Abbruch des U21-DM-Finales in Wolfslake stattfand? Dass die jungen deutschen Fahrer zuerst vor Augen geführt bekommen: Auf einer schlechten Bahn wird nicht gefahren – und dass sie dann wenige Tage später auf genau so einer schlechten Bahn einbrechen gegen Profis aus England, Dänemark und Tschechien? Hukelmann windet sich ein bisschen. „Das Niveau dieser Veranstaltung konnten sie nicht umsetzen. Das fing bei den Starts an und ging über die Distanz von vier Runden. Ben Iken und Jonny Wynant haben es später geschafft, mit diesem Pulk mitzufahren. Patrick Hyjek hat sich einfach nicht sicher gefühlt auf der Bahn“, sagt er. „Wir haben Jonny Wynant als Kapitän eingeteilt, um ihm die Verantwortung zu geben. Wir haben vorher zusammengesessen – da, wo noch alles gut war. Dann hat man aber im Training schon gesehen, dass es Differenzen gab: Hyjek, Iken und Wynant kamen da gut rum. Bei Häusl und bei Hegener lief es nicht rund. Im ersten Lauf hat Häusl abgedreht und den Arm in der Hand gehalten.“
Dann bemüht er die Erinnerung an ein Gespräch mit Wack Hofmeister, einem legendären ehemaligen Speedwayfahrer und Motortuner, der sogar Aggregate für Renault Alpine aus dem Historischen Rallyesport vorbereitet hat und nachdem inzwischen das Stadion von Abensberg benannt ist – jenem Verein, in dem Dörner engagiert ist. „Wack Hofmeister mittlerweile 91, aber immer noch ein wacher Beobachter und voll auf Zack. Mit dem habe ich mich nach meiner Rückkehr aus Saint Macaire unterhalten. Er hat gesagt: ‚Ich habe mich immer so gut es geht vorbereitet auf alle Bahnen. Aber du kannst nur lernen, wenn du mit den besten Fahrern der Welt fährst.’ Das ist ein ganz einfacher Spruch – aber der trifft immer noch zu 100 Prozent zu. Wir müssen daran arbeiten, dass unsere Fahrer mit den besten anderen Fahrern ans Band kommen.“
Das aber scheitere inzwischen schon im Ansatz: „Wir haben früher Gastfahrer aus Holland in der NBM gehabt, die außer Wertung mitgefahren sind – und die dann natürlich auch mal vor den jungen Deutschen gewonnen haben. Und woraufhin die Eltern unserer Fahrer sich mokiert haben: ‚Die nehmen unseren Jungs die Plätze weg.‘ Tatsächlich aber haben wir immer versucht, ihnen zu sagen: ‚Wenn Eure Kinder mal EM oder mehr fahren, dann treffen sie auch auf solche Gegner. Da ist es doch besser, sie fangen schon früh an, von denen zu lernen.’“
So ganz lässt man den Funktionär aber doch nicht vom Wickel, ohne noch ein weiteres Mal auf die auffällige Verkettung aus umstrittenem Abbruch in Wolfslake und folgendem Debakel in Ludwigslust hinzuweisen. Hukelmann kommt ins Grübeln. „Vielleicht hat das alles zusammen ja geholfen“, sinniert er, „jetzt mal wieder aus dem Stillstand rauszukommen.“
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