Die Ausgangslage vorm Finale
- Norbert Ockenga
- 4. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Wer geht mit welcher Strategie ins Finale der Paar-WM? Und wie unterscheiden sich die einzelnen Ansätze der Paarfahrerei?
Schweden ist schon da, England noch nicht. Am Nachmittag sind die Blaugelben die erste Mannschaft, die vor dem Finale der Paar-WM in der Marian-Rose-Motoarena in Thorn eintreffen. Und ihr Teammanager Linus Sundström bemerkt es sofort: „Der Bahndienst hat offensichtlich viel gearbeitet. Sie ist viel tiefer und griffiger als bei den Vorrunden und beim U21-Rennen.“
Auch sein Pendant bei den Australiern, Mark Lemon, stellt bei einem Blick auf die Bahn fest: „Vor allem an den Startplätzen hat man den Belag ziemlich aufgemacht und sehr griffig werden lassen.“
Über allem schwebt aber die Wettervorhersage. „Es ist Regen angesagt“, weiß Oliver Allen, der Teammanager der Engländer, bereits im Hotel, bevor er im Stadion ankommt. „Der erste Schauer soll um 19 Uhr kommen, für 21 Uhr ist dann richtig heftiger Niederschlag prognostiziert. Es ist also durchaus möglich, dass das Rennen sehr, sehr schnell durchgezogen wird.“ Vielleicht sogar ohne Bahndienst, um schneller zu sein als der Regen? „Möglich“, antwortet Allen. „Aber das erfahren wir erst in der Fahrerbesprechung, kurz vor Beginn.“
Auf jeden Fall hätten die Veranstalter Vorsorge getroffen, berichtet Lemon aus dem Stadion: „Auf dem inneren Teil und auf den Startplätzen haben sie die Abdeckfolie für Schlechtwetter gelegt.“ Sundström ergänzt: „Das Stadion ist ja großteils überdacht. Möglicherweise fällt der Regen sowieso nur auf den Rasen im Innenfeld, nicht auf die Bahn.“

Das Wetter spielt in den strategischen Überlegungen von zumindest zwei der Favoriten eine Rolle: „Wir haben die älteste Mannschaft des ganzen Feldes“, rechnet Sundström vor. „Also sind unsere drei Fahrer auch die erfahrensten. Das wird sich bei widrigem Wetter sicher bezahlt machen.“ Lemon hält dagegen: „Alle unsere Fahrer kennen die unterschiedlichsten Bedingungen, sowohl vom Fahren auf den ganz verschiedenen Bahnen in Australien als auch aus der englischen Liga, wo es ja auch gerne regnet.“ Vor allem Jason Doyle ist im Regen in letzter Zeit extrem schnell gewesen. Lemon nickt: „Der hatte ohnehin ein paar verflixt gute Monate – und wenn’s wechselhaft wird, zeigt der oft das gewisse Etwas.“
Allerdings, kündigt der Exfahrer an, werde Australien mit Brady Kurtz und Jack Holder beginnen. „Ich habe keinen festen Schlachtplan“, so Lemon. „Wir schauen, wie sich das erste Rennen entwickelt – und reagieren dann mit Ein- und Auswechslungen, wenn’s nötig wird.“
Wenn's regnen sollte, kommt's drauf an, wer von den Fahrern es wirklich will. – Linus Sundström
Ähnliches peilt auch Sundström an. „Wir lassen das Rennen auf uns zukommen.“ Fredrik Lindgren und Jacob Thorssell, die beiden Teamkollegen vom schwedischen Meister Västervik, werden beginnen, Timo Lahti steht auf Reserve. „Ich bin froh, dass wir alle drei Fahrer ausreichend Zeit auf der Bahn geben konnten“, blickt Sundström auf den Dienstagabend zurück, wo er die zweiten Fahrer neben „Fast Freddy“ munter durchprobiert hat. „Das werden wir so heute nicht mehr machen. Denn jetzt haben wir ja das Finale, das müssen wir anders angehen.“
Titelverteidiger Großbritannien erwartet dagegen keine Fahrplanänderung zu seiner Strategie aus der Qualirunde. „Es mag sich harsch anhören“, wiegelt Allen ab. „Aber wir haben zwei klare Stammfahrer – und einen Ersatzmann. Aus dieser Rollenverteilung haben wir auch nie ein Geheimnis gemacht.“ Robert Lambert und Dan Bewley sollen den ganzen Abend fahren, solange sie kein Sturzopfer werden, der Ipswicher Tom Brennan fungiert lediglich als Notnagel.
In den Vorrunden haben die Nationenteams völlig unterschiedliche Taktiken beim Paarfahren an den Tag gelegt: Bei den Schweden hat Lindgren seinem jeweiligen Partner meist die Innenbahn in der ersten und auch der zweiten Kurve überlassen. Die Dänen haben sich gemäß ihren Startplätzen flexibel schräg versetzt zueinander eingeordnet und dann, sobald ihr Vorsprung groß genug war, zu einem D-Zug hintereinander verschwenkt. Die Australier sind meist im Paar ausgeschwärmt geblieben. Bei den Briten wirkte es, als führen Bewley – ganz außen, im losen Material direkt an der Bande – und Lambert mehr für sich. „Aber wer genau hingeschaut hat“, widerspricht Allen, „hat gesehen, wie Robert in der ersten Kurve immer intensiv nach Dan Ausschau gehalten und ihm dann dort bewusst viel Platz gelassen hat, wo Dan hin wollte.“
Das war stets die ganz äußere Bahn. So soll es nach dem Willen der Briten auch am Finalabend wieder laufen. „Deswegen nehmen wir uns auch die Flexibilität, die Startplätze bei Bedarf zu tauschen“, damit Bewley immer von weiter außen losfahren kann als Lambert. Der soll dann mit seiner Ortskenntnis als Thorn-Vereinsfahrer innen die Lücken zustellen.
Dabei trifft er aber am Abend auf einen Klubkameraden als Gegner: Patryk Dudek. Der neue Europameister und werdende Vater fährt ebenfalls für den polnischen Meister Apator Thorn und kennt die Bahn in- und auswändig. Polen hatte vergangene Woche ein Sondergeheimtraining auf der Piste, da war sie schon im selben harten und glatten Zustand wie bei den ersten drei SoN-Durchgängen, aber nicht wie am Finalabend.
Die Polen aber haben sich vor dem Endlauf noch mehr eingeigelt als üblich. Nach der für das nationalstolze Land als Fiasko empfundene Niederlagen bei der Junioren-Paar-WM am Freitagabend spüren sie immensen Druck, vor heimischem Publikum eine schwarze Serie durchbrechen zu müssen: Noch nie sind die Polen Paarweltmeister geworden. Ihre Titel holten sie entweder bei der Solisten-WM – oder bei der Team-WM, wo stets ein Mann einer Nation als Einzelkämpfer am Band steht, aber kein mannschaftsdienliches Paarfahren gefragt ist. Nach dem Auftritt vom Freitag haben die Medien den Druck auf die Polen immens erhöht. Deren Strategie ist klar: Zmarzlik und Lokalmatador Dudek bilden das erste Einsatzpaar. Piotr Pawlicki – der 30-Jährige aus Lissa, der für Tschenstochau fährt – ist als Ersatzmann dabei, aber nicht für Einsätze vorgesehen.
Schwedens Teammanager Linus Sundström ist sicher: „Wenn es tatsächlich regnen sollte, dann wird’s darauf ankommen, welche Fahrer es bei schwierigen Bedingungen wirklich wollen. Und dann sind wir mit unseren drei Jungs extrem gut bedient…“
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