Drama in sechs Akten
- Norbert Ockenga
- 22. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Beim Finale der Langbahn-WM in Roden schlagen die Handlungsstränge gleich sechs Mal unerwartete Haken.
Kevin Wajtknecht tappt im Dunkeln. „So können wir nicht arbeiten“, grummelt der Vater des Tabellenzweiten Zach Wajtknecht am frühen Morgen vorm Langbahn-WM-Finale in Roden.
Die Engländer sind neben Lokalmatador Dave Meijerink die ersten, die ihren Stall in jenem großen Feuerwehrfestzelt einrichten, in dem das Fahrerlager für alle WM-Fahrer untergebracht ist. Direkt unterm Giebel hängen drei dunkelbraune Wohnzimmerlampen, die in den Achtzigern jede Gute Stube in Norddeutschland gut zu Gesicht veredelt hätten – die aber für das große Zelt mit ihren Unterteilungen zwischen den Arbeitsbuchten nur tranfunzeliges Licht diffundieren.
Team Wajtknecht steht mitten im Zelt, dort ist es besonders dunkel. Und die vom Vater angeforderte Extralampe gibt’s vom Veranstalter nicht. Es bleibt nur, die Rückwand des Zeltes aufzuknüpfen – und von da zieht bis zum Nachmittag immer wieder jene klamme Luft hinein, die das regnerische Schauerwetter mit sich bringt.
Wenn auch nur eines der beiden Probleme nicht passiert wäre, dann wäre ich direkt ins Finale gekommen. – Lukas Fienhage
Es sind erschwerte Bedingungen auf der einsam in den Meeden gelegenen Bahn, die wie Herxheim ohne Airfence, sondern mit breiter Auslaufzone vor der Bande ausstaffiert ist. „Manche Fahrer haben damit Schwierigkeiten“, weiß Lokalmatador Meijerink, „weil ihnen in den Kurven die Referenzpunkte zur Orientierung fehlen. Aber ich habe damit keine Last.“

Die Bahn von Roden, südlich von Groningen gelegen, ist anders vorbereitet als sonst, für 2025 nicht ausgekoffert worden, sondern nur gewalzt und geeggt. Tagelanger Regen macht es nötig, noch am Morgen eine Schlammschicht im Innenteil der Kurven abzuziehen. Darunter zeigt sich ein trügerisches Bild: „Auf den ersten Blick denkt man, das sind Rillen“, fällt Robert Barth auf, dem Tuner von WM-Spitzenreiter Lukas Fienhage. „Aber wenn man dann reinfährt, merkt man: Das sind eigentlich nur Sandhaufen, die man nicht so richtig nutzen kann.“
Während der Bahndienst die Kurven in den Griff bekommt, bleiben die Startplätze ungleichmäßig: Gelb bleibt den ganzen Nachmittag über der schlechteste. Auch als der Regen ab dem zweiten Durchgang abzieht und sogar die Sonne strahlt. Die Bahn entwickelt sich rasant – und das erwischt sowohl einen der drei WM-Anwärter als auch einen Siegaspiranten auf dem falschen Fuß.
Chris Harris verpasst in Lauf 1 den Start, wird dann von Kenneth Kruse Hansen, Jake Mulford und Stephan Katt abgestrahlt. Der schwere Schlamm macht den Abrollmechanismus seiner Brille kaputt, Harris stochert im Blindflug durch Noordenveld und wird Letzter.

Zach Waitknecht gewinnt seinen Eröffnungslauf und nimmt das Zepter in die Hand. Schon im zweiten Lauf hat er Gelb und wird nur Vorletzter. Harris und auch Fienhage gewinnen ihren zweiten Heat.
Doch an der Spitze geben Romano Hummel und Kenneth Kruse Hansen den Ton an, wirken zu Beginn schwer dominant. „Aber dann“, grollt Hummel, „etwas am Motor verändert, das ich besser nicht gemacht hätte.“ Der Rückbau der Abstimmung hätte nicht gefruchtet, weil der Kopf danach nicht mehr frei gewesen sei. Kruse Hansen dagegen zieht sicher ins Finale ein.
Bei den drei WM-Anwärtern gibt sich das Drama die Klinke in die Hand. Zuerst hadert Harris trotz eines Laufsiegs und eines zweiten Platzes mit der Maschine, lässt sich das Ersatzmotorrad herrichten. „Das ging auch besser aus dem Start. Aber beim zweiten Einsatz ist ein Kipphebel gebrochen.“ Der Cornishman fällt aus – und muss in den Hoffnungslauf, in noch zwei Finaltickets zu holen sind.
Wenn man einen Gegner nicht neben sich will, dann ist das Chris Harris. – Zach Wajtknecht
Dann wird Fienhage in Führung liegend langsamer, muss Wajtknecht und Mathias Trésarrieu wehrlos ziehenlassen: „Die Halterung vom Vergaser hat sich gelöst, sodass ich zuerst immer weniger Leistung hatte und am Ende gar nichts mehr ging.“
Wajtknecht – der sich übrigens „Wotschnick“ spricht, da sein Großvater aus Polen nach England eingewandet ist – scheint eingedenk dieser Probleme der Gegner auf Final- und Titelkurs. Bis ihm in seinem letzten Vorlauf die Kette reißt.
Damit kann Fienhage den direkten Finaleinzug schaffen. Er gewinnt auch seinen letzten Heat – wird die vier Punkte dann aber wegen einer Disqualifikation postwendend wieder los: Eine Schraube der Halterung seines Dirtdeflectors ist abgeschert, der Schmutzfänger auf die Bahn gepoltert. „Die beiden Probleme haben mich sechs Punkte gekostet“, hadert Fienhage. „Wenn auch nur eine der beiden Sachen nicht passiert wäre, wäre ich statt Zach Wajtknecht direkt ins Finale gekommen.“
So aber muss Fienhage in den Hoffnungslauf. Und kriegt dort den gelben Startplatz. „Von da aus war nichts zu machen“, bedauert der Blondschopf aus dem Norden. Fienhage wird im Last Chance Heat Vierter – und scheidet aus. Harris zieht als Zweiter hinter Trésarrieu in den Endlauf ein.

Dort ist Kruse Hansen eigentlich Favorit – trudelt aber schon am Band aus. „Wahrscheinlich war’s die Zündung“, rätselt der Däne, als die Maschine aus dem Parc Fermé wieder zurück ist.
Durch das Aus von Fienhage ist klar: Der WM-Titel geht zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder nach England – an Wajknecht oder Harris. „Wenn man einen Gegner nicht außen neben sich haben möchte“, schaudert es Wajtknecht, „dann ist das Chris Harris.“
Harris hat sich den ganzen Nachmittag die tiefe, sandige Innenlinie zu eigen gemacht. Auf der bilden sich vor allem ausgangs der Zielkurve tiefe Rillen. Die Maschinen fliegen teilweise komplett mit beiden Reifen in der Luft drüberweg. Harris knüppelt mit brutalem Einsatz über die Rillen. Wajtknecht orientiert sich im Finale bewusst nach außen: „Ich hatte das Glück, dass ich an den Stellen, wo ich außen fahren wollte, jedes Mal noch loses Material und Griff gefunden habe.“
Damit ringt Wajtknecht seinen Landsmann nieder. Zwar hat er gegen Meijerink, der die Wellen und Unebenheiten mitnimmt und jedes Mal wie ein Katapult nutzt, keine Chance; der Einheimische hat die Entwicklung der abtrocknenden Bahn mit voller Ortskenntnis am besten gelesen und gewinnt sein Heimrennen. Wajtknecht wird mit Tagesrang 2 neuer Weltmeister vor Harris und Fienhage.
Zum fesselnden Ausgang der Langbahn-WM folgt im Laufe der Woche noch ein großes Video mit Interviews mit sämtlichen Spitzenfahrern und exklusiven Einblicken hinter die Kulissen.
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