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Jäger des verlorenen Satzes

Der sensationelle WM-Titel der deutschen U21-Junioren liegt jetzt ein paar Wochen zurück, doch eine nennenswerte Resonanz hat er nicht ausgelöst. Höchste Zeit für eine weiterführende Betrachtung.


Es liegt in der Natur der Sache: Nach dem Gewinn der Paar-WM der U21-Jährigen werden Hoffnungen geschürt. Sascha Dörner, der Teammanager der siegreichen deutschen Nationalmannschaft, packt sie in Worte, die auch seine Aufgewühltheit gegenüber Kritik enthüllen: „Es ist Genugtuung; definitiv Genugtuung gegen alle Spötter“, sagt Dörner im Interview mit dem Podcast Startband direkt nach dem Erfolg in Thorn. „Und ich hoff’, dass es einen Aufwind für den deutschen Bahnsport gibt.“



Aus der Euphorie ist längst die Erkenntnis geworden: Schön war’s – aber nicht nachhaltig. Vor allem der Aufwind ist längst verweht, ohne sichtbare Spuren hinterlassen zu haben.


Öffentliche Resonanz außerhalb jener Medien, die aufgrund der generellen inhaltlichen Ausrichtung oder – sehr oft – wegen persönlichen Engagements einzelner Journalisten über den Titelgewinn genauso berichtet haben wie etwa über andere Rennen hat’s nicht gegeben. Das fällt um so mehr auf, je mehr Details über die sonderbar ablehnende Pressearbeit direkt nach dem WM-Titel bekannt werden:



Der Vorfall hat für viel Kopfschütteln und Unverständnis gesorgt. Vor allem bei Leuten, die sich mit den Mechanismen der Medien und einer effektiven Öffentlichkeitsarbeit auskennen.


Nicht zuletzt bei Egon Müller.


Der Kieler ist der letzte deutsche Speedwayweltmeister vor dem Team Norick Blödorn/Mario Häusl/Hannah Grunwald, sein Titelgewinn in Norden 1983 war ähnlich sensationell wie derjenige der Junioren in Thorn. Inzwischen ist Egon Müller 76, sieht aus wie 66 und wirbelt rum wie 56 – und hat nicht nur mit seinen Social Media-Kanälen, mit denen er von ausgewählten Rennen berichtet höhere Klick- und Zugriffszahlen als alle anderen deutschen Bahnsportmedien. Er ist auch immer noch zu Gast bei Talkshows im heimischen N3-Fernsehen, das den ganzen norddeutschen Raum abdeckt.


Wen könnte man denn noch besser vermarkten als diese 3? – Egon Müller

Müller war Zeit seiner Karriere ein brillanter Selbstvermarkter, der sich selbst und damit auch den ganzen Bahnsport aufs Schild gehoben hat. Diese Kunst beherrscht er heute noch.


Um so erstaunter blickt er auf die Wochen nach dem WM-Titel der Junioren. „Was wäre das für ein Aushängeschild?“ Das fragt er mit dem ganzen Verständnis und instinktiven Gespür eines Mannes für aktuelle Themen der Zeit, auf welche die Medien aufspringen und reagiert: „Ein Farbiger, gerade wo derzeit das Thema mit den Zuwanderern so durch alle Medien geht, und ein junges, attraktives Mädchen, dazu ein 21-jähriger Himmelsstürmer. Was kann man da noch fragen, wen man denn noch besser vermarkten kann als diese 3?“


Egon Müller und Lebensgefährtin Gabriele Rüsbüldt, eine ehemalige Beiwagenfahrerin, mit Meik Lüders beim Zweitligarennen in Wittstock am Samstag. Foto: Meik Lüders
Egon Müller und Lebensgefährtin Gabriele Rüsbüldt, eine ehemalige Beiwagenfahrerin, mit Meik Lüders beim Zweitligarennen in Wittstock am Samstag. Foto: Meik Lüders

Doch stattdessen überregional und außerhalb der reinen Szene – keine Sichtbarkeit. Müller weiß auch warum: Es fehlt an Initiative bei der Kommunikation. Statt eines Boykotts hätten alle Beteiligten proaktiv handeln müssen. Müller vergleicht: „Wenn ich damals nicht sofort nach dem Lauf dpa und sid und Bild Hamburg und Bild München angerufen, dann würdest du Egon Müller vielleicht gar nicht kennen. Das war meine Aufgabe; das habe ich über Jahre hinweg gemacht. Ich hatte damals als einziger in meinem Porsche vorne ein Autotelefon drinnen; ich kriegte die Haube vorn nur so gerade eben zu, weil das Ding so groß war. Damit konnte ich von unterwegs Gott und die Welt anrufen, um über meinen Sport zu berichten: Wie viele Zuschauer waren da? Wer ist gestürzt? Was ist passiert? Wer wurde Erster, Zweiter, Dritter? Natürlich konnte ich oft sagen: ‚Erster Egon Müller, Zweiter Simon Wigg, Dritter Karl Maier.‘ Aber das hat richtig was gebracht; dadurch war der ganze Sport dauernd in den Medien. Heute schläft die ganze Bahnsportszene irgendwie ein.“


Müller wusste auch schon am Tag, als der Medienboykott ruchbar wurde, zielsicher einzuschätzen: „In zwei, drei Wochen hörst du nichts mehr von einer WM. Wenn die jetzt versuchen, beim Hörfunk oder in anderen Medien noch etwas zu platzieren, dann werden sie nur zur Antwort kriegen: ‚Wann war das? Vor drei Wochen? Da brauchen wir doch jetzt nichts mehr zu bringen.’“


Für jeden, der den Bahnsport nach vorn bringen möchte, ist der mangelnde Aha-Effekt des WM-Titels eine herbe Enttäuschung. Und für den Sport selbst ist er eine vertane Chance.

Aus diesem Anlass ist es geboten, sich in den nächsten Tagen noch Mal intensiver mit den Grundsätzen und Anforderungen einer modernen Kommunikation und Pressearbeit zu befassen. Und dabei vor allem auch über den Tellerrand hinauszublicken.


Damit sich solch’ ein Desaster nicht wiederholt.


 
 
 

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