Das Kartenhaus fällt zusammen
- Norbert Ockenga
- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Die jüngsten internationalen Entwicklungen entlarven den Kardinalfehler in der reformierten Speedway-DM.
Es geht längst nicht mehr nur um Kai Huckenbeck. Sondern ums große Ganze. Seit Mittwoch schien klar: Auch Norick Blödorn wird beim dritten Lauf der Speedway-Einzel-DM fehlen. Er musste seinem polnischen Ligaverein Posen in den Playoffs Priorität einräumen. Es war schieres Glück für die DM, das das Polenrennen am Freitagmittag abgesagt werden musste, Blödorn also doch beim dritten Lauf antreten kann.
Doch beim Finale der DM in Brokstedt am 6. September sind in Mario Häusl und Patrick Hyjek zwei weitere Anwärter auf Topplatzierungen nicht am Band, denn beide fahren am selben Tag bei der U19-Paar-EM in Pilsen.
Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen: Die Deutschen, laut Ankündigung betreut von Teammanager Sascha Dörner, werden in Tschechien nicht viel reißen – gegen die dänischen Überflieger Villads Nagel, Mikkel Andersen und Bastian Pedersen, die Polen, Tschechen und die jungen Engländer stehen die Chancen für ein weiteres ernüchterndes Ergebnis gut.
Gleichzeitig grummelt es in der Heimat hinter den Kulissen mächtig. Stein des Anstoßes: die Nominierung für die WM-Prädikats- und -Qualifikationsläufe im kommenden Jahr. Die sollen gemäß des EM-Ergebnisses erfolgen. Doch wer sich unter den Fahrern genau hin umhört, dem kommen immer mehr Zweifel über die Gerechtigkeit dieses Verfahrens zu Ohren – weil die Terminlage der auf vier Rennen basierenden, reformierten Einzel-DM nur eine Tabelle in Schieflache zulässt.
Man ist längst an jenem Punkt angekommen, den das alte Sprichwort beschreibt: „Wie man’s macht, man macht’s verkehrt.“
Mit der Terminierung des dritten Meisterschaftslaufs in Berghaupten am Sonnabend hat man sich sehenden Auges ein Problem geschaffen, das man leicht hätte vermeiden können. Dass Huckenbeck im Grand Prix von Breslau startet, stand unwesentlich kürzer fest als der Termin für Heiligabend 2025. Dennoch pochte man auf den Traditionstermin in Berghaupten, schloss Huckenbeck aus, beraubt damit auch die Zuschauer einer potenziellen Attraktion – und handelte sich dazu mit viel Pech, auch noch die Zitterpartie um Blödorn ein, die mit Glück ein Happy End nahm.
Wobei: Pech?
Dass Posen ein Team ist, welches das Zeug für den Einzug in die Playoffs hat, hätte man als Bahnsportfachmann auch erkennen können.
Und dass die U19-Paar-EM in Pilsen am 6. September steigt, ist auch kein kurzfristiges Ereignis.

Um solchen Kalamitäten zu begegnen, sieht das Regelwerk der Einzel-DM pro Fahrer ein sogenanntes Streichresultat vor. Damit kann das schlechteste Ergebnis eines jeden Drifters aus der Wertung fallen. Solche Streichergebnisse sind nichts Neues, es gibt sie in vielen Sportarten. Doch nie dienen sie dazu, das komplette Fehlen eines Aktiven zu kompensieren. Ihr Sinn liegt vielmehr darin, extreme Ausreißer bei den Ergebnissen über eine Saison hinweg zu glätten.
Im Motorsport sind Streichergebnisse seit 1988 verpönt. Ursprünglich sollten sie in der Formel 1 die hohe Ausfallrate in Zeiten, bevor Ross Brawn bei Ferrari die Qualitätssicherung optimierte und die Haltbarkeit kein Thema mehr wurde, kompensieren helfen. Das war seit den Fuffzigern historisch gewachsen. Doch als die Streichresultatregel anno 1988 das WM-Endergebnis zugunsten von Ayrton Senna und zulasten von Alain Prost auf den Kopf stellte, geriet die Regel für Rennsport in Verruf.
Für die Speedway-Einzel-DM hat man sie wieder rausgekramt, um das Fehlen einzelner Fahrer bei der Terminüberschneidungen kompensiert zu kriegen. Doch wenn gleich zwei Titelanwärter bei jeweils zwei Veranstaltungen nicht dabei sind, hilft ihnen auch die Streichung eines Fehltagesnullers nicht weiter. Und wenn zwei weitere Fahrer aus dem Vorderfeld auch noch fehlen – dann wird aus der Deutschen Speedway- eine Deutsche Streichresultatsmeisterschaft, deren sportliche Aussagekraft man infrage stellen muss.
Das zeigt schon ein Blick auf die Tabelle vor Berghaupten. Netto, also streichergebnisbereinigt, führt Norick Blödorn die Rangliste an, mit 16 Punkten. Zweiter ist Kevin Wölbert. Der hätte brutto 26 Punkte. Da er aber die 12 Punkte vom Auftakt in Güstrow streichen muss, bleiben ihm 14 Punkte von seinem Sieg in Stralsund stehen. Blödorn hat Güstrow auch gewonnen, aber mit Maximum, kriegt daher zwei Bonuspunkte – und streicht gleichzeitig den Nuller fürs Nichtantreten in Stralsund. Wölbert wird also per Streichresultat dafür bestraft, dass er beide Mal gefahren ist, denn er muss mehr Punkte hergeben als Blödorn fürs Nichterscheinen. Die Frage muss erlaubt sein: Lohnt sich da noch die Leistung, bei allen Rennen anzutreten? Und angeblich heißt es doch, in Deutschland müsse sich Leistung wieder lohnen. Doch wird bei diesem System nicht eher bestraft, wer immer seine Leistung bringt?
Die Folgen sind mannigfaltig. Die offensichtlichste: Zuschauer, die sich auf DM-Läufe in Stralsund, Berghaupten und Brokstedt gefreut haben, kriegen ein zerzaustes Starterfeld präsentiert – für einen Eintrittspreis, der auf eine lückenlose Besetzung ausgelegt ist. Man stelle sich vor, Kevin Wölbert wird Deutscher Meister – und kriegt in der öffentlichen Wahrnehmung sofort das Etikett umgehängt: „nur Meister, weil Hucke und Blödorn nicht fuhren“. Belohnt man so treue Fahrer wie Wölbert, aber auch etwa Valentin Grobauer, die sich jederzeit für den deutschen Speedway engagieren, teils auch mit Verlust und bei aussichtslosen Rennen fahren? Gleichzeitig haftet Huckenbeck und Blödorn der Makel der Rosinenpickerei an, obwohl beide da gar nichts für können.
Und schließlich, nicht so offensichtlich, aber nicht zu unterschätzen: Es gärt unter den Aktiven auch und vor allem wegen der WM- und EM-Nominierungsfrage fürs Folgejahr. Viele haben das Gefühl: Loyalität und Einsatz werden nicht mehr belohnt. Vor allem an jüngere Fahrer, so hört man immer öfter, sende man damit ein falsches Signal aus und schüre Unfrieden. Hinter den Kulissen, wo es ohnehin schon brodelt, ist die Nominierungsfrage das am meisten debattierte Thema. Und auch kann man's nur verkehrt machen: Stellt man nach den Resultaten auf, schließt man einen, vielleicht zwei der Besten aus. Und nominiert frei nach Leistung und Historie, ohne streng auf die DM-Tabelle zu achten, fühlen sich die Loyalen auf den Schlips getreten.
Es gab über die Ausweitung der DM vom Eintagesfinale zu einer Serie schon für kontroverse Meinungen, Norick Blödorn und Martin Smolinski etwa haben sich bei Diskussionen darüber regelrecht in die Haare gekriegt: Blödorn ist ein Verfechter der Serie, Smolinski des Eintagesfinals.
Die Hintergedanken hinter der Reform sind nachvollziehbar. Doch 2025 und vor allem der Berghaupten-Termin zeigen: Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Da wäre es sinnvoller, sich bei der Terminfindung an den internationalen Kalendern zu orientieren – und die DM-Termine so übers Jahr zu streuen, dass die infrage kommenden Fahrer auch tatsächlich teilnehmen können. Mit einem frühen Beginn.
Was ist eigentlich schlimmer? Dass die Reform, so wie sie jetzt läuft, auf dem Rücken der Zuschauer ausgetragen wird? Oder auf dem Rücken der Fahrer?
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