„Ein Speedwaymotor ist wie eine Frau“
- Norbert Ockenga
- vor 1 Tag
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 9 Stunden
Nordstern Stralsund startet am Freitagabend in der Bundesliga mit zwei Deutschen – und verblüfft damit nicht nur Beobachter, sondern sogar die betreffenden Fahrer.
Das Erstaunen ergießt sich in Wellen. So hat sich selbst der Fahrer gewundert. Wenn auch etwas zeitversetzt: Bei Sandro Wassermann kam die Verblüffung schon weit bevor diese Woche die Mannschaftsaufstellungen für die Bundesligapartie zwischen Wittstock und Stralsund veröffentlicht wurden.
Wassermann wird am Freitagabend in Wittstock erstmals für Nordstern Stralsund antreten. „Dabei hatte ich Anfang des Jahres eigentlich bei Wittstock unterschrieben. Dann kam eine Woche später die Nachricht von Frank Mauer, da hat’s geheißen, ich werde vom DMSB zugeteilt – und ‚entweder du fährst bei Stralsund oder gar nicht‘. Dass die deutschen Fahrer vom DMSB gesagt bekommen, wo sie fahren müssen, war mir bis dahin gar nicht bewusst.“
Es muss eine jener Neuerungen sein, die von den Machern der Liga hinter verschlossenen Türen ausgeklügelt werden, vielleicht fehlt in dem Wort auch ein „n“ – und dann nicht weiter kommuniziert. Jedenfalls stellt es auch keinen Unterschied dar, welches Kaliber der deutsche Fahrer ist und welche Preisvorstellungen er für sein Antrittsgeld mitbringt: Man hantiert mit fest geschrieben Höchstgagen wie im American Football.
Ich hatte eigentlich schon bei Wittstock unterschrieben. Dann hieß es: Stralsund oder gar nicht – Sandro Wassermann
Wassermann zeigte sich zunächst irritiert, als er von Zuteilung an die Ostseeküste hörte. „Ich bin 2000 und 2001 für Wittstock in der polnischen Liga gefahren. Da lag es nahe, dass ich auch bei der Rückkehr von Wittstock in die Bundesliga dort starte. Und Stralsund ist für mich noch mal um gut 150 Kilometer weiter zu fahren als Wittstock“, sagt der Bayer. „Ich habe mir sogar überlegt, ob ich überhaupt die Liga fahre.“
Inzwischen ist der dankbar für die Chance, hat er schließlich einen großen Teil der ersten Saisonhälfte wegen einer schweren Fußverletzung vom Paar-EM-Rennen in Gurkfeld, also Krško, ausfallen lassen müssen. Auch die Rückkehr in den Sattel war nicht ganz ohne: „Am Anfang hat man’s noch gemerkt. Beim German Open waren noch ziemlich Schmerzen da“, erinnert er sich an das Comeback in Olching. „Bei den Zweitligarennen für Diedenbergen ging’s dann aber schon wieder ganz gut. Und viel mehr Rennen bin ich in diesem Jahr noch gar nicht gefahren.“
Dabei braucht der Blindschopf jede Runde, um sich auf seine neuen Grundvoraussetzungen einzuschießen: Nach der Winterpause wog er 12 Kilogramm mehr als im vorigen Herbst, inzwischen pendelt es sich auf 10 Kilogramm mehr ein.
Was aber nicht an zu vielen Weihnachtsgänsen liegt. „Ich bin regelmäßig im Fitnessstudio gewesen. Mein Sponsor H³O-Fitness in Memmingen hat mir einen genauen Trainingsplan ausgearbeitet. Dazu habe ich auch meine Ernährung umgestellt – gesünder und auf mehr Proteine, um so die Arbeit im Fitnessstudio zu unterstützen. So habe ich durch das konsequente Training 12 Kilogramm an Muskelmasse zugenommen.“
Zwar ist der 27-jährige Exweltmeister in der Viertelliterklasse immer noch zierlich, aber nicht mehr so ein Hänfling, der beim ersten Windstoß wegzuwehen droht. Inzwischen hat er für einen Speedwayfahrer ein ziemliches Gardemaß. Daran aber musste er mit seinen Tunern die Motorcharakteristik anpassen.

Denn die Triebwerke müssen nun mehr leisten als bei der Spargeltarzanausführung des Bayern. „Ich fahre immer noch die gleichen Motoren wie im Vorjahr. Aber damals hatten wir Power rausgenommen. Jetzt haben wir die Motoren wieder stärker gemacht, und das funktioniert ganz gut. Ich habe zwei verschiedene Tuner – ein Motor stammt von Matten Kröger, und die anderen macht Jan Hertel. Ich fange in Wittstock erstmal mit dem Kröger an.“
Bei den ersten Einsätzen vor seiner Verletzung knobelte Wassermann noch an der passenden Abstimmung für die stärkeren Motoren und sein höheres Kampfgewicht herum. Doch für Gurkfeld passte das Setup erstmals. Dann kam der Unfall, nach der Rückkehr mit Diedenbergen in die Zweite Bundesliga ist aber klar: Die neue Kombination aus Mensch und Maschine haut hin. Wassermann war der einzige aus dem Lager der Taunushessen, die bei allen Einsätzen für die White Tigers zuverlässig und vergleichbar hoch gepunktet hat wie die Besten der Gegner aus Cloppenburg oder von Inn-Isar-Racing.
In Wittstock kommt er nun in einer grundlegend umgebauten Nordstern-Mannschaft zum Einsatz. Die Hansestädter überraschen damit, als erstes Team in der neu wiederaufgezogenen Bundesliga sogar zwei Deutsche im Aufgebot zu haben: Neben Wassermann fährt auch Lars Skupień. Der Dortmunder gehört zum Stammaufgebot von Stralsund – die Michael West und Kevin Juhl Pedersen nicht mehr im Line-Up haben, um so mit zwei Deutschen den ersten Ligasieg des Jahres einzuheimsen.
Skupień kennt die große und schnelle Bahn in Wittstock ebenso gut wie Wassermann. „Ich war zwei Mal bei der polnischen Liga mit Posen dort“, verweist der Dortmunder auf jene Zeit, in der Wittstock – wie heute Landshut – in der polnischen statt deutschen Ligalandschaft und er selbst noch mit polnischer Lizenz unterwegs war. „Eigentlich mag ich lange, breite Bahnen. Aber jetzt habe ich ganz andere Motoren.“
Denn der Westfale arbeitet seit Kurzem mit einem höchst renommierten und geschichtsträchtigen Tuner zusammen: Otto Weiß. Der Bayer steuerte als Tuner Aggregate zu den Weltmeistertiteln des Dänen Jan O. Pedersen aus Esbjerg und Leigh Adams aus dem australischen Mildura bei den Junioren bei, belieferte unter vielen Anderen auch Henrik „Henka“ Gustafsson und den legendären Marvyn Cox aus England, der lange in Rülzheim in der Pfalz wohnte. Bis 2024 war Weiß auch Tuner für den ostfriesischen Nachwuchsprofi Ben Iken.
Ich kann manchmal noch nicht richtig deuten, ob die neuen Motoren zu stark oder zu schwach sind. – Lars Skupień
Weiß hatte lange in Breslau gelebt, wohnt aber inzwischen in Solingen – also nur etwa 30 Kilometer von Skupień entfernt. Und obwohl bereits ein paar Tage älter, suchte der ehemalige Weltmeistermacher neue Aufgaben im Speedway. Das wurde Skupień empfohlen – also machte der sich auf den Weg in die Nachbarstadt, so begann die Partnerschaft.
Weil er dieses Jahr erstmals mit Otto-Weiß-Motoren startet, zaudert Skupień auch jedes Mal aufs Neue, ob er vor den Rennen trainieren solle oder nicht. Beim Zweitligaeinsatz mit Inn-Isar-Racing in Olching verzichtete er noch drauf, für Wittstock hat er sich für das Zweierfahren, das vor den Bundesligarennen angesetzt ist, dagegen bei Nordstern angemeldet. „Training verwirrt mich manchmal ein bisschen. Hin und wieder ist es besser, nach zwei Wochen Pause direkt zu fahren“, gesteht Skupień. „Aber weil ich einen neuen Motor habe, möchte ich in Wittstock vorher auf die Bahn. Denn die Weiß-Motoren Haben eine andere Charakteristik: Sie fahren sich sehr stark und ruhig. Ich kann manchmal nicht so richtig deuten, ob der Motor zu stark oder zu schwach ist. Ich muss sie halt kennenlernen. So ein Speedwaymotor ist wie eine Frau: Man muss wissen, was sie will und wie sie reagiert.“
Beim Bundesligarennen in Wittstock plant Skupień den Einsatz eines flatschneuen Triebwerks, nachdem er in Olching noch mit einem Treibsatz gefahren war, der schon einige Läufe auf dem Buckel hatte. Allein deswegen sei ein Training am späten Freitagnachmittag für ihn so wichtig.
Lars Skupień wird in der umgebauten Mannschaft von Stralsund nun auf Position 3 statt wie bislang 2 geführt. Platz Nummer 5 ist noch offen, denn:
Der starke Lette Daniel Kolodinskis bleibt Stralsunds Nummer 1, hinter ihm wird der Finne Jesse Mustonen erstmals neu auf die zweite Stelle gesetzt. Hinter Lars Skupień wird Sandro Wassermann mit der Nummer 4 auflaufen.
Eine Konstellation, die am Telefon nicht zuletzt auch Skupień verblüffte: „Ach – Sandro kommt auch?“
Comments