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Kurtz gewinnt Chaos-Grand Prix

Der Speedway-WM-Lauf in Landsberg wird zu einer Mensch-und-Material-Schlacht, weil die Bahn problematisch ist.


Selten war so viel Hektik zwischen Training und Eröffnungsheat wie bei diesem Grand Prix in Landsberg an der Warthe. Die Mechaniker hantieren wild mit Schraubenschlüsseln, Kettenblättern und Vergaserdüsen, unterbrochen von kurzen, aber derben Flüchen in einer Geräuschesuppe aus Klappern und vielstimmigem Gemurmel. Denn die Bahn in Polen stellt alle vor ein Rätsel: Keiner weiß, wie sie sich nach einem Notprogramm vom Bahndienst fürs Rennen präsentieren und entwickeln wird – und wie man demzufolge die Maschinen der WM-Stars abstimmen muss.


Denn Landsberg ächzt unter einer Hitzewelle, die das Stadion in einen Glutofen verwandelt – und die Bahn trocken und brüchig werden lässt. Im Freien Training versuchen die Bahnmeister, dem mit ordentlich Wassereinsatz entgegenzuwirken. Doch dann geht der Wasserwagen kaputt, für die Endphase der Qualifikation und den Sprint kann kein Wasser mehr aufgebracht werden – es staubt nicht nur undurchdringlich, die Bahn wird auch ruppig, übersäht mit Rillen und Bruchstellen.


Robert Lambert etwa stürzt binnen zweiter Runden gleich zwei Mal. Auch Wildcardfahrer Oscar Paluch fällt, alle Fahrer führen lautstark Klage, selbst Bartosz Zmarzlik flucht vor sich hin. Das Extrarennen am Nachmittag, Sprint genannt, wird zwar noch durchgezogen, es gewinnt Dan Bewley. Zmarzlik vergrößert seinen WM-Vorsprung auf Brady Kurtz, weil er den Australier schon in der ersten Runde der K.O.-Duelle ausschaltet und seinerseits in den Sprint einzieht.


Während die Mechaniker schuften, versucht der Bahndienst zu retten, was zu retten ist: Die Bahn wird mit einer Egge tief aufgegrubbert, dann mit einem Ersatzwasserwagen getränkt, parallel der zweite Wasserwagen repariert; die Abläufe aus Eggen und Bewässern ziehen sich in einer ewigen Prozedur bis unmittelbar vor der Fahrervorstellung hin.

Brady Kurtz landet am Chaostag von Landsberg seinen ersten Grand Prix-SIeg. Foto: FIM
Brady Kurtz landet am Chaostag von Landsberg seinen ersten Grand Prix-SIeg. Foto: FIM

So kriegt man die Bahn in einen rennbereiten Zustand. Im ersten Block sind Überholmanöver Mangelware, wer in der ersten Kurve vorn liegt, gewinnt auch den Lauf. Unter den Auftaktsiegern ist auch Kai Huckenbeck. Der Emsländer hat sich beim vorigen Grand Prix in Manchester die aktuell in England grassierende Variante des Coronavirus’ zugezogen, die ganze Woche über Fieber, Erkältung und Grippe geklagt und deswegen seine Ligarennen in Schweden und Polen sogar nicht zu Ende fahren können. Dann hat Huckenbeck sich in Werlte daheim erholt, ist freitags mit dem Privatwagen nach Landsberg gefahren – und hat dort Tobias Kroner getroffen. Der Exfahrer ist ohne vorherige Absprache vor Ort, spontan entscheiden die beiden Emsländer, dass Kroner seinem Freund Huckenbeck in der Box hilft.


Schon im ersten Heat zeigt sich: Huckenbeck ist wieder gesund. Er vertraut auf jene Maschine, mit der er beim zweiten Grand Prix von Manchester nur knapp die Finalteilnahme verpasst hat – und knüpft nahtlos an seine Leistung von England an.


Doch dann bricht die Bahn wieder auf. Im zweiten Rennen verliert Martin Vaculik innen neben dem besser gestarteten Huckenbeck auf einer Rille die Kontrolle über seine Maschine, hat einen Aufsteiger und fliegt direkt ins Motorrad von Huckenbeck. Der wird abgeräumt und brutal auf den Luftfangzaun katapultiert, fliegt vom Airbag wieder runter und direkt auf der Rücken des schon auf der Bahn liegenden Vaculik. Mit großen Schmerzen an einem Oberschenkel, einem Handgelenk und im Hintern versucht Huckenbeck noch weiterzufahren, im Wiederholungslauf auf der Ersatzmaschine, ein Rennen später auf dem wieder gerichteten Bike Nummer 1 – doch der Schmerz ist zu groß, Huckenbeck muss sich abmelden.


Vaculik ist ohnehin direkt nach dem Unfall mit starken Schmerzen in einem Bein ins Krankenhaus gebracht worden.


Die holprige Bahn produziert wenig Überholmanöver, aber jede Menge verschiedener Heatsieger. Fast alle nehmen sich gegenseitig die Punkte weg, lediglich Bartosz Zmarzlik qualifiziert sich schnurstracks direkt fürs Finale. Hinter ihm rangeln Fredrik Lindgren, Brady Kurtz, Dan Bewley und Jack Holder bis zum letzten Durchgang um den direkten Einzug ins Finale; erst im letzten Vorlauf fällt die Entscheidung. Da Bewley zuvor mit einem Heatsieg vorgelegt hat, muss Kurtz Rennen 20 unbedingt gewinnen – genau wie Lindgren. Der Schwede ist zuerst vorn, doch Kurtz fängt ihn mit einem spektakulären Manöver wieder ab und zieht mit Zmarzlik direkt in den Endlauf ein.


Um den Einzug in die beiden Hoffnungsläufe, von denen jeweils der Sieger auch noch ins Tagesfinale kommt, gibt es ein ähnliches Gerangel. Im Laufe des Abends kriegen die Bahndienstler die Piste besser in den Griff, sie bleibt aber ein Risiko: Ihr hoher Sandanteil und die Trockenheit sorgen dafür, dass das Material sich nicht richtig bindet – und an immer wieder anderen Stellen förmlich Erosionen auftreten.


Im Kampf um den 10. und damit letzten Platz für die Hoffnungsläufe stürzt Jan Kvech und zieht sich ebenfalls schmerzhafte Verletzungen zu – fährt aber weiter, weil er noch nie so gut in einem Grand Prix unterwegs gewesen ist wie jetzt. Im Fünfkampf zieht Andrej Lebedews den Kürzeren, die beiden Dänen Anders Thomsen und Mikkel Michelsen kommen so gerade eben in die Last Chance Qualifyers.


Dort sichern sich Lindgren und Bewley mit Laufsiegen die letzten beiden Finalplätze. Beide haben aber im Endlauf keine Chance: Kurtz gewinnt den Start. Zmarzlik scheint schon abgeschlagen, hangelt sich aber mit teils artistischen Gewichtsverlagerung im Sattel auf unorthodoxen Linien wieder ran an der Australier. Kurtz kann das letzte Anrennen von Zmarzlik abwehren – und gewinnt seinen ersten Grand Prix, obwohl er nach einer Verletzungspause erst sein zweites Rennen fuhr.


In der WM macht Kurtz damit etwas Boden gut auf Zmarzlik. Die Titelvergabe läuft zu Beginn der zweiten Saisonhälfte auf einen Zweikampf zwischen Zmarzlik und Kurtz hinaus, die Verfolger Lindgren, Bewley und Jack Holder sind schon deutlich abgeschlagen.

 
 
 

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