Mangelnde Ortskenntnis
- Norbert Ockenga
- vor 1 Tag
- 3 Min. Lesezeit
Das Fazit von Bartosz Zmarzlik ist auch ein Plädoyer für die britische Ligalandschaft.
Lauf 10 liefert den plakativsten Beweis: Jene Fahrer, die in den englischen Ligen unterwegs sind, haben beim Grand Prix in Manchester einen klaren Vorteil. In Lauf 10 nämlich gesteht Bartosz Zmarzlik indirekt seine fehlende Ortskenntnis ein: Nachdem Brady Kurtz vorbeigezogen ist, fährt der Pole ihm einfach nach, kopiert seine Linienwahl und verinnerlicht sie.
Für Zmarzlik ist die Fallstudie hinter dem Australier, der in der Premiership für die heimischen Belle Vue Aces fährt, eine Fahrstunde, ein Lehrstück bei über 100 km/h. Dabei realisiert der 30-Jährige nicht nur, wie raumgreifend und radikal man auf einer älter werdenden Bahn fahren muss, dass man Innen- und Außenspur kombinieren muss. Er merkt auch: Sein neuer, weicherer Alurahmen kann der Kräfte, die bei dem brutalen Weg von Kurtz aufs Chassis wirken, nicht verdauen, und sein Motor ist dafür im Schub aus den Kurven raus nicht kräftig genug.
Deswegen wechselt er nach der Niederlage gegen den Aussie auf die Ersatzmaschine aus Stahl und stellt in einem zweiten Schritt auch die Vergaserbedüsung um. Das reicht, um sich direkt fürs Finale zu qualifizieren. Aber auch dort wird er von einem Lokalmatadoren geschlagen: Dan Bewley, Kurtz’ Teamkollege bei den Belle Vue Aces, hat richtig geahnt, wie weit die Ideallinie mit dem losen, griffigen Material nach außen wandert – und wagt sich drei Runden lang im Zentimeterabstand an Bande und Airfence heran, um das Hinterrad eingraben zu können.
Zmarzlik hält sich um die entscheidenden Zentimeter weiter innen auf – und nutzt dort eine Linie, die auf den meisten üblichen Bahnen funktioniert hätte, in Manchester mit seinem besonderen Belag und seiner ansteigenden Überhöhung in den Kurven aber nicht.

Deswegen führt der Titelverteidiger seine Niederlage bei der abendlichen Analyse denn auch ganz offen auf mangelnde Ortskenntnis zurück: Zmarzlik ist einer jener Fahrer, der nicht in England aktiv ist. Er hat sich vor 11 Jahren für eine Saison in Birmingham versucht, sich aber in der Second City nie wohlgefühlt – vor allem, weil sein Englisch damals noch schlechter war als heute und er sich kaum verständigen konnte.
Das ist für Polen kein neues Phänomen: Auch sein Vorbild Tomasz Gollob wollte eigentlich nie auf der Insel fahren – und hat nur deshalb angeheuert, weil er in Ipswich eine Muttersprachlerin fand: Magda Louis, die Frau vom damaligen Witcher-Chef John „Tiger“ Louis, war gebürtige Polin.
Am Freitagabend war auffällig, wie groß der Nutzen der England-Erfahrung war. Für die Belle Vue-Fahrer Bewley und Kurtz, die Erster und Dritter wurden. Aber auch für fast alle Anderen, die regelmäßig in der Premiership in Manchester bei Auswärtsrennen zu Gast sind. Vor allem für Max Fricke – der bis vor zwei Jahren selbst noch für Belle Vue fuhr.
Die überproportional schlechten Ergebnisse etwa von Dominik Kubera, Andrej Lebedews und Anders Thomsen, die allesamt nicht in England fahren, unterstreichen diese Analyse.
Deswegen knirschte Zmarzlik nach seinem zweiten Rang denn auch ein zufriedenes Fazit heraus: Dass er in Summe aus Sprint und Rennen seinen Vorsprung auf Kurtz sogar noch um einen WM-Punkt ausgebaut hätte, sei eingedenk des Erfahrungsrückstand und des offen eingeräumten Fremdelns mit der Bahn ein Erfolg.
Was er nicht sagte, aber zwischen den Zeilen andeutete: Für den zweiten Grand Prix an gleicher Stelle heute Abend hat er so schnell so viel gelernt, dass er dort um den Sieg mitfahren kann.
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